Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 06. Dezember 2012, C 152/11

Noch vor einigen Jahren war es üblich, in Sozialplänen Altersstaffeln dergestalt vorzusehen, dass ältere Arbeitnehmer, die kurz vor der Rente standen, weniger Abfindung erhalten haben, als jüngere Kollegen, die noch einen längeren Zeitraum bis zum frühest möglichen Rentenbeginn zu überbrücken hatten. In der Regel stiegen die Abfindungssätze in Relation zum Einkommen beginnend bei jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bis zur Erreichung etwa des 55. Lebensjahres an, um danach wieder abzufallen. Der überaus nachvollziehbare Hintergrund solcher Regelungen ist, Abfindungen in erster Linie denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zukommen zu lassen, die aufgrund ihres Arbeitsplatzverlustes wirtschaftliche Nachteile erleiden. Daher wäre es völlig unangemessen, denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die kurz vor Renteneintritt stehen, die höchste Abfindungszahlung zu gewähren.

Gegen diese Praxis gab es aber in jüngerer Zeit mit Blick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und eine darin gesehene Altersdiskriminierung vereinzelt Bedenken. Diese hat der Europäische Gerichtshof nunmehr ausgeräumt und ausdrücklich festgestellt, dass in „betrieblichen Systemen der sozialen Sicherung (Sozialplan) Regelungen vorgesehen werden dürfen, nach denen Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühest möglichen Rentenbeginns berechnet wird. Dabei darf im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, bei diesen „älteren“ Arbeitnehmern eine geringere als die nach der Standardmethode vorgesehene Abfindungssumme gezahlt werden. Wichtig ist jedoch, dass mindestens die Hälfte der nach der Standardmethode berechneten Abfindungssumme gezahlt wird.

Insoweit darf aber lediglich auf die allgemeine Altersrente abgestellt werden und nicht auf eine vorzeitige Rente wegen einer Behinderung. Letzteres würde behinderte Menschen entgegen den Vorschriften des AGG benachteiligen.

Die europäischen Richter haben also ausdrücklich ihre Zustimmung zu einer Minderung dieser Abfindungsansprüche erklärt.

Verminderte Abfindungsansprüche seien deshalb gerechtfertigt, da eine Sozialplanabfindung letztlich auf zukünftige wirtschaftliche Nachteile und nicht auf bisherige Leistungen im Arbeitsverhältnis abstelle. Wer aber aufgrund eines rentennahen Beendigungszeitpunkts keine oder nur wesentlich geringere Nachteile durch den Arbeitsplatzverlust habe, als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer, der nicht in absehbarer Zeit mit einer Rente rechnen kann, braucht daher auch weniger Ausgleich und kann insoweit auf einen geringeren Abfindungsbetrag verwiesen werden.

Eine Sozialplanabfindung habe insbesondere eine Überbrückungsfunktion und diene nicht der Vermögensbildung.

Eine Minderung des Abfindungsbetrages für solche Arbeitnehmer, die trotz ihrer Entlassung wirtschaftlich in Form eines Rentenanspruchs abgesichert sind, ist daher zulässig.

Leider hat der Europäische Gerichtshof eine weitere vom anrufenden Gericht gestellte Frage nicht beantwortet, ob auch ein vollständiger Ausschluss von Sozialplanleistungen zulässig sei. Diese Frage kann sich beispielsweise bei unmittelbar bevorstehender Rentenberechtigung stellen. In dem entschiedenen konkreten Fall hat diese Frage keine Rolle gespielt, weshalb die Richter des EuGH diesen Teil der Anfrage als theoretisch und daher unzulässig abweisen konnten.

Sicher zulässig ist die im konkreten Fall genannte Reduzierung auf 50%. Ein vollständiger Ausschluss von Sozialplanansprüchen müsste aus meiner Sicht aber ebenfalls zulässig sein, wenn bei der Berechnung auf zukünftige Verluste von Arbeitseinkommen konkret abgestellt wird. Es macht meines Erachtens keinen Sinn, einem Mitarbeiter, der in Folge einer betrieblichen Kündigungsmaßnahme ein oder zwei Monate vor Erreichen der Altersgrenze und vor Beginn der Rentenzahlung seine Stelle verliert, noch 50% der üblichen Abfindung zu bezahlen. Auch hier würde eine Vermögensmehrung eintreten und nicht nur ein Ausgleich von Vermögensschäden. Letztlich würden diese Beträge dann für Sozialplanabfindungen von wirklich bedürftigen Mitarbeitern fehlen, die nicht unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis in die Rente wechseln können.

Hier müsste es beispielsweise zulässig sein, den Sozialplananspruch konkret auf die Beträge zu „deckeln“ die dem Arbeitnehmer zwischen dem Beendigungstag und dem Renteneintritt unter Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes tatsächlich fehlen.

Wichtig ist insofern auch noch, dass nicht auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Arbeitnehmer eine vollständige Rente erstmals in Anspruch nehmen könnte. Ausreichend ist es, wenn überhaupt ein Anspruch auf Altersrente besteht, und sei es auch nur aufgrund einer vorgezogenen Inanspruchnahme mit Abschlägen.

Dabei darf aber nicht auf eine Sonderregelung für Schwerbehinderte abgestellt werden, die bereits ab dem vollendeten 60. Lebensjahr einen (geminderten) Rentenanspruch haben. Schwerbehinderte Arbeitnehmer dürfen hinsichtlich der Abfindungshöhe nicht schlechter gestellt werden als Nichtbehinderte.

Praxistipp:

Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass die europäischen Antidiskriminierungs-Richtlinien, die letztlich teilweise Eingang in das deutsche AGG gefunden haben, die Gestaltung von Sozialplänen und die gerechte Verteilung von Abfindungen nicht einfacher gemacht haben. Hier besteht für Arbeitgeber insbesondere die große Gefahr, dass bei Verstößen gegen AGG-Regeln zusätzliche nicht eingeplante Sozialplanleistungen erforderlich werden. Gerade bei geschwächten Unternehmen kann dies existenzbedrohende Auswirkungen haben.

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