BAG, Urteil vom 18.09.2014, 6 AZR 636/13

622 Absatz 2 BGB regelt die gesetzlichen Mindestkündigungsfristen. Diese sind für Arbeitgeberkündigungen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt. Die Grundkündigungsfrist beträgt vier Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende. Nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit verlängert sich diese Frist auf einen Monat zum Monatsende. Die längste Kündigungsfrist bei mindestens zwanzigjähriger Beschäftigung beträgt sieben Monate zum Monatsende.

Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin nach vier Jahren Betriebszugehörigkeit mit einmonatiger Kündigungsfrist gekündigt. Dies entsprach der Staffelung des § 622 Absatz 2 BGB. Die Arbeitnehmerin hat dagegen eingewandt, die gestaffelten Kündigungsfristen würden eine mittelbare Altersdiskriminierung darstellen. Eine längere Betriebszugehörigkeit setze auch ein höheres Lebensalter voraus. Jüngere Arbeitnehmer seien daher benachteiligt, da sie keine zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit aufweisen könnten. Die gesetzliche Regelung verstoße daher gegen die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Im vorliegenden Fall habe der Arbeitgeber, um eine Diskriminierung zu eliminieren, nur mit der längsten, nämlich siebenmonatigen Frist kündigen dürfen.

Das BAG ist dem nicht gefolgt und hat entschieden, dass die gesetzlichen Kündigungsfristen mit europäischem Recht vereinbar sind.

Zwar sei die Staffelung der Kündigungsfristen nach der Betriebszugehörigkeit möglicherweise für jüngere Arbeitnehmer nachteilig. Für die Differenzierung bestehe jedoch ein hinreichender Sachgrund, so dass der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung letztlich nicht verwirklicht sei.

Die Staffelung im Gesetz verfolge ein legitimes Ziel. Länger beschäftigten Arbeitnehmern sollte ein verbesserter Kündigungsschutz gewährt werden, da bekanntlich mit zunehmendem Alter die Chancen auf dem Arbeitsmarkt schlechter werden. Ältere Arbeitnehmer benötigen daher mehr Zeit, nach einer neuen Stelle zu suchen als jüngere Mitarbeiter. Gleichzeitig ist auch festzustellen, dass Arbeitnehmer, die sehr lange, beispielsweise über 20 Jahre, in einem Betrieb tätig waren, schon deshalb schutzwürdig sind, da sie durch die lange Betriebstreue unter Umständen nicht mehr ausreichend „fit“ für den allgemeinen Arbeitsmarkt sind.

Das BAG verweist darauf, dass ältere Arbeitnehmer noch wesentlich häufiger und in der Regel auch länger arbeitslos sind, als Jüngere.

Anmerkung:
Ob diese Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vollständig schlüssig ist, erscheint fraglich. Nicht berücksichtigt wird dabei beispielsweise das Problem der Jugendarbeitslosigkeit, die Frage, inwieweit sich die Qualifikation von Bewerbern auf die Stellensuche auswirkt etc.

Praxistipp:

Besonders wichtig für die Praxis ist der Hinweis, dass § 622 BGB an anderer Stelle nicht mit Europarecht übereinstimmt, der Gesetzgeber es jedoch bisher versäumt hat, den Gesetzestext an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzupassen:

Der Text sieht derzeit noch vor, dass die für eine Verlängerung der Kündigungsfristen erforderlichen Betriebszugehörigkeitszeiten erst ab dem vollendeten 25. Lebensjahr berücksichtigt werden dürfen. Hier hat der Europäische Gerichtshof schon vor geraumer Zeit entschieden, dass dieser Teil der Regelung eine unzulässige Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer darstellt und daher gegen zwingendes europäisches Recht verstößt. Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit ausgesprochen, dass dieser Teil der Vorschrift nicht mehr angewendet werden darf. Trotzdem hat es der Gesetzgeber noch nicht für notwendig gehalten, den Text zu ändern, mit der Folge, dass Arbeitgeber, die sich nur auf den Gesetzestext verlassen und nicht anwaltlich beraten sind, hier nach wie vor Fehler machen, die kostenträchtige Gerichtsverfahren nach sich ziehen können.

Stichworte:
 

Comments are closed.