BAG, Urteil vom 17. August 2011, 5 AZR 406/10
Mit der vorliegenden Entscheidung hat das BAG zum einen die Rechtslage zu einer häufig verwendeten Klausel in Arbeitsverträgen – zu Lasten des Arbeitgebers – klargestellt, zum anderen aber auch entschieden, dass nicht jede Überstunde in jedem Arbeitsverhältnis automatisch zu einem Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung führt.
Der hier entschiedene Fall war recht speziell: Der klagende Arbeitnehmer war mehrere Jahre als Rechtsanwalt in einer größeren Anwaltssozietät beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass „durch die zu zahlende Bruttovergütung eine etwaig notwendig werdende Über- oder Mehrarbeit abgegolten ist“. Ähnliche Klauseln finden sich in vielen Arbeitsverträgen auch außerhalb von Anwaltskanzleien.
Der angestellte Anwalt trug vor, er sei aufgefordert worden, deutlich mehr als die ebenfalls im Arbeitsvertrag vereinbarten 40 Wochenstunden zu arbeiten, zumindest hätte der Arbeitgeber solche Überstunden duldend entgegengenommen. Er habe insoweit auch eine erhebliche Zahl von Überstunden geleistet, und zwar allein in der Hoffnung darauf, Partner der Anwaltskanzlei zu werden. Als sich diese Erwartung dann nicht erfüllte, machte er Überstundenvergütungen in Höhe von fast € 40.000,00 geltend.
Nachdem das Arbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen hatte, das LAG dagegen dem Kläger ca. 75 % seines Anspruchs zugesprochen hatte, hat das BAG die Klage nun insgesamt endgültig abgewiesen.
Wichtig auch für die allgemeine Praxis bei Überstunden sind zwei große Linien, die das BAG vorgezeichnet hat: Zum einen darf eine Überstundenvergütung im Rahmen des Arbeitsvertrages nicht generell und grenzenlos ausgeschlossen werden, zum anderen darf ein Arbeitnehmer nicht für jede Mehrarbeit auch eine Überstundenvergütung erwarten. Im Einzelnen:
1. Kein pauschaler Ausschluss von Überstundenvergütungen im Arbeitsvertrag
Mit der oben geschilderten Klausel in Arbeitsverträgen versuchen Arbeitgeber oft, jeglichen Anspruch auf Überstundenvergütung auszuschließen. Hier hat das BAG nunmehr das bestätigt, was vorsichtige Anwälte ihren Arbeitgebermandanten bereits bisher prophezeit hatten: Die Vereinbarung einer Pauschalabgeltung von Überstunden mit dem regulären Gehalt oder vergleichbare Regelungen sind unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB als sogenannte Allgemeine Geschäftsbedingungen verstoßen. Hintergrund: Der Arbeitnehmer muss bei Vertragsabschluss erkennen können, welche Vergütung er für seine Leistung erhält. Dies ist dann der Fall, wenn er zum einen erkennen kann, welche Vergütung ihm am Monatsende zusteht und er auch weiß, wie viel Arbeitszeit er hierfür erbringen muss. Wird zwar das Gehalt im Arbeitsvertrag festgelegt, ist aber die dafür zu erbringende Arbeitszeit völlig offen, da er jegliche vom Arbeitgeber angeordnete Überstunden ohne Zusatzvergütung erbringen muss, verstößt dies gegen das Transparenzgebot, was die Klausel endgültig und unwiderruflich unwirksam macht. Der Arbeitgeber kann sich dann auch nicht für einen Teil der zu leistenden Überstunden auf die Abgeltungsklausel berufen und muss gegebenenfalls bereits die erste Überstunde vergüten.
Ein Arbeitgeber kann sich bei einer solchen pauschalen Abgeltungsklausel auch nicht darauf berufen, die zu leistenden Überstunden würden sich auf die gesetzlich zulässige Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz beschränken. Auch hier geht das BAG von einer intransparenten Lösung aus, da etwas, was klar formuliert werden kann, auch klar formuliert werden muss, um wirksam zu sein
Praxistipp:
Pauschale Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen sollten keinesfalls mehr weiterverwendet werden. Wenn mit der regulären Vergütung Überstunden abgegolten werden sollen, was nach wie vor möglich ist, muss aber im Arbeitsvertrag eine Höchstgrenze festgelegt werden, so dass der Arbeitnehmer sich ausrechnen kann, was bei maximaler Ausnutzung der vereinbarten abgegoltenen Überstunden sein Mindeststundenverdienst wäre.
Beispiel:
„Mit dem vereinbarten Gehalt sind monatlich bis zu 15 Überstunden abgegolten. Darüber hinausgehende Überstunden werden durch Freizeitgewährung innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen. Ist ein solcher Ausgleich nicht möglich, werden sie mit einem Stundensatz von X € mit der Monatsabrechnung für den siebten nach Leistung der Überstunden anfallenden Monat abgegolten.“
Soweit Arbeitgeber die Auffassung vertreten, im Arbeitsvertrag müsse die Zahl der zu leistenden Arbeitsstunden überhaupt nicht angegeben werden, was dazu führe, dass die nach dem Arbeitszeitgesetz zulässigen Höchstarbeitszeiten vereinbart seien, trifft dies nicht zu. Arbeitnehmer haben nach dem Nachweisgesetz einen Anspruch darauf, dass die vereinbarte Arbeitszeit entweder einseitig vom Arbeitgeber bestätigt oder im Arbeitsvertrag festgelegt wird.
2. Ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrages
Mit der Unwirksamkeit einer Pauschalabgeltungsklausel im Arbeitsvertrag steht aber noch nicht fest, ob und gegebenenfalls für welche Überstunden der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch hat. Wenn, wie in solchen Fällen regelmäßig, der Vertrag keine Regelung zur Vergütung von Überstunden enthält, kann sich ein Anspruch auf Bezahlung der Überstunden nur aus den gesetzlichen Regelungen ergeben. Hier sind die §§ 612 Abs. 1 und 612a BGB heranzuziehen, die folgenden Wortlaut haben:
§ 612 Abs. 1: „Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.“
§ 612a: „Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.“
Zu fragen ist also zunächst, ob die Leistung von Überstunden den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten war oder ob sich aus den Umständen ergibt, dass eine Vergütung für Überstunden gerade nicht erwartet worden ist. Dabei kommt es weniger auf subjektive Aspekte, als auf die sogenannte „objektive Vergütungserwartung“ an.
Bei „normalen“ Verhältnissen sei eine solche Erwartung üblicherweise vorauszusetzen, jedoch gebe es, so das BAG, keinen generellen Anhaltspunkt dafür, dass jede Mehrarbeit zu vergüten sei. Hier stellt das BAG insbesondere auf sogenannte Dienste höherer Art ab. Anhand eines objektiven Maßstabes ermittelt das BAG unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander, ob eine Vergütung zu erwarten ist.
Insoweit bestätigt das BAG auch die bisherige Rechtsprechung, wonach insbesondere bei echten (!) leitenden Angestellten, zum Beispiel bei Chefärzten, Mehrarbeit grundsätzlich mit der regulären Vergütung abgegolten sei. Umgekehrt ist bei einem Arbeiter davon auszugehen, dass Mehrarbeit nur gegen Freizeitgewährung oder Vergütung objektiv erwartet werden könne. Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung gemäß § 612 Abs. 1 BGB trägt der Arbeitnehmer.
Im vorliegenden Fall hatte der Rechtsanwalt durch sein Verhalten, insbesondere durch die langfristige Nichtgeltendmachung einer Überstundenabgeltung oder Überstundenvergütung gezeigt, dass er ursprünglich keine Vergütungserwartung für die Überstunden hatte. Die Tatsache, dass die fehlende Vergütungserwartung dadurch motiviert war, dass er gerne Partner werden wollte, sei nicht relevant. Insoweit habe er auf eigenes Risiko gehandelt. Er habe insbesondere nicht vorgetragen, dass die von ihm erstrebte Aufnahme in die Partnerschaft von der Leistung von Überstunden abhänge bzw. umgekehrt die Nichtleistung von Überstunden die Aufnahme in die Partnerschaft gefährden würde.
Praxistipp:
In Zukunft müssen, wie oben bereits erläutert, bei nicht leitenden Angestellten Grenzen für die Zahl derjenigen Überstunden vorgesehen werden, die mit dem regulären Gehalt abgegolten sind. Um dem Arbeitgeber hier eine flexible Regelungsmöglichkeit einzuräumen, ist es denkbar, die Zahl der Überstunden nicht je Tag oder Woche, sondern für längere Zeiträume festzulegen, so dass Arbeitszeitspitzen durch Freistellungen zu anderen Zeiten ausgeglichen werden können, ohne dass Überstunden im Rechtssinne entstehen.
Die Frage, ab welcher Position oder Ausbildung Überstunden pauschal abgegolten werden dürfen, lässt sich nicht einfach beantworten. So kann generell nicht darauf abgestellt werden, dass beispielsweise bei Akademikern eine pauschale Abgeltung zulässig sei. Es kommt immer auf die konkrete Beschäftigung an. Der Akademiker, der im Angestelltenverhältnis Taxi fährt, ist sicherlich anders zu beurteilen als der Chefarzt.
Wenn insoweit eine Pauschalabgeltung von Überstunden bei leitenden Angestellten beabsichtigt ist, sollte vorzugswürdig eine Erhöhung der regulären Arbeitszeit und deren Nennung im Arbeitsvertrag überlegt werden. Besser als die Vereinbarung einer 40-Stunden-Woche mit einer Pauschalabgeltung für Überstunden ist es, mit Blick auf die Tätigkeit als leitender Angestellter, die damit verbundene Verantwortung und auch die überdurchschnittliche Vergütung einer Wochenarbeitszeit von regelmäßig 48 Wochenstunden (6 x 8 Stunden) zu vereinbaren. Dies ist die gesetzliche regelmäßige Höchstarbeitszeit, die aber auf bis zu 60 Wochenstunden (6 x 10 Stunden) erhöht werden kann, wenn es entsprechende Ausgleichszeiträume nach dem Arbeitszeitgesetz gibt.