Sozialauswahl und Altersdiskriminierung

Am 25. Juni 2012, von Michael Eckert

BAG, Urteil vom 15. Dezember 2011, 2 AZR 42/10

Im Fall von betriebsbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl treffen (§ 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz). Die Kriterien, anhand derer die Sozialauswahl zu treffen ist, sind im Gesetz vorgesehen: Es sind dies die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung.

Vorliegend hatte das BAG zu überprüfen, ob das hier vorgesehene Merkmal „Lebensalter“ gegen die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und das daraus entwickelte deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt:

Die Regelung zur Sozialauswahl soll ältere Arbeitnehmer stärker vor Kündigungen schützen als jüngere Arbeitnehmer. Demgegenüber verbietet das AGG jegliche Benachteiligung von Arbeitnehmern aufgrund des Lebensalters. Verboten ist damit nicht nur eine Benachteiligung älterer Arbeitnehmer gegenüber jüngeren, sondern auch umgekehrt werden jüngere Arbeitnehmer vor einer Benachteiligung gegenüber älteren Arbeitnehmern geschützt.

Im vorliegenden Fall hatte ein Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl sogenannte Altersgruppen gebildet. Bei solchen Altersgruppen werden nicht alle im Rahmen der betrieblichen Maßnahme betroffenen und vergleichbaren Arbeitnehmer als einheitliche Gruppe der Sozialauswahl unterworfen. Vielmehr werden Untergruppen gebildet, beispielsweise derjenigen Arbeitnehmer, die zwischen 21 und 30 Jahre alt sind, eine weitere Gruppe mit denjenigen, die zwischen 31 und 40 Jahre alt sind, bis 50 Jahre etc. Der Arbeitgeber hatte dann die Zahl der abzubauenden Arbeitsplätze gleichmäßig auf die insoweit gebildeten Gruppen verteilt. Damit sollte verhindert werden, dass über das Erfordernis der altersbezogenen Sozialauswahl insbesondere jüngere Mitarbeiter von der Kündigung betroffen werden und sich damit der Altersdurchschnitt der Beschäftigten erheblich erhöht.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist der Arbeitgeber berechtigt, im Rahmen der Sozialauswahl Maßnahmen zu treffen, die der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes dienen, wozu auch eine ausgewogene Altersstruktur gezählt wird.

Das BAG hat daher die Klage einer Arbeitnehmerin abgewiesen, die die Bildung und den Zuschnitt der oben genannten Altersgruppen gerügt hatte.

Grundsätzlich hat das BAG festgestellt, dass zwar die gesetzliche Regelung zur Sozialauswahl zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters führe. Diese sei aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt gerechtfertigt. Für diese Bereiche lässt auch die EU-Richtlinie (2000/78/EG vom 27. November 2000, vgl. dort Artikel 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a) Ausnahmen vom Verbot der Altersdiskriminierung zu.

Die Berücksichtigung des Kriteriums „Alter“ rechtfertigt sich aus den regelmäßig sinkenden Chancen älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. Gerade durch die Bildung von Altersgruppen habe der Arbeitgeber aber eine einseitige Verteilung der auszusprechenden Kündigungen auf jüngere Arbeitnehmer und damit deren Benachteiligung vermieden. Das Ziel, ältere Arbeitnehmer zu schützen, und das gleichzeitige Ziel, die berufliche Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer sicherzustellen, werde durch die Bildung von Altersgruppen zu einem angemessenen Ausgleich gebracht, was zugleich der sozialpolitisch erwünschten Generationengerechtigkeit, der Vielfalt, dem Bereich der Beschäftigten und auch dem grundlegenden Ziel des AGG diene.

Praxistipp:

Nachdem früher einmal in einer recht abwegigen instanzgerichtlichen Entscheidung die Bildung von Altersgruppen abgelehnt worden ist, dürfte gerade mit Blick auf das AGG und die eigentlich verbotene Altersdiskriminierung die Bildung von Altersgruppen fast notwendig werden, um eine europarechtskonforme Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes bei betriebsbedingten Kündigungen mit Sozialauswahl zu ermöglichen.

Zwar muss bei betriebsbedingten Kündigungen immer eine individuelle Betrachtung der konkreten Situation erfolgen. Sofern möglich sollte der Arbeitgeber eine Altersgruppenbildung aber möglichst als Regel und nicht nur als Ausnahme vorsehen, um Einwänden, die Sozialauswahl widerspreche dem AGG, zu begegnen.

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