Kündigung wegen Kirchenaustritts

Am 09. September 2013, von Michael Eckert

BAG, Urteil vom 25. April 2013; 2 AZR 579/12

Das kirchliche Arbeitsrecht ist in den vergangenen Monaten zunehmend in die Frage gestellt worden:

Diskutiert wird u.a. über das Streikrecht kirchlicher Arbeitnehmer, die Möglichkeit Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen abzuschließen und auch über die Frage, in welchen Fällen Verstöße gegen kirchliche Regeln eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen können.

Hintergrund für die Überlegungen ist die Eigenschaft der Kirchen und der ihr unmittelbar angeschlossenen „Betriebe“ als Tendenzbetriebe: Hier gelten Sonderregelungen, deren Reichweite und Grenzen allerdings aktuell wieder sehr stark umstritten sind. Ähnliche Sonderregelungen gibt es beispielsweise für Presseunternehmen, politische Parteien o.ä.

Im konkreten Fall war ein Arbeitnehmer seit 1992 beim Caritas Verband als Sozialpädagoge beschäftigt. Zu seinen Aufgaben in einem sozialen Zentrum gehörte es, Schulkinder bis zum 12. Lebensjahr nachmittags nach der Schule zu betreuen. In die Einrichtung aufgenommen werden Kinder jeder Religionszugehörigkeit und dort werden auch keine religiösen Inhalte vermittelt.

Der Arbeitnehmer trat im Februar 2011 aus der katholischen Kirche aus. Er berief sich dabei auf die in den letzen Jahren bekannt gewordenen zahlreichen sexuellen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, das (aus seiner Sicht) Erstarken der Pius-Brüderschaft usw.

Der Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis daraufhin gekündigt und erklärt, es liege ein schwerer Loyalitätsverstoß vor, der eine Weiterbeschäftigung nicht zulasse.

Im vorliegenden Fall musste einerseits zwischen dem Grundrecht des Arbeitnehmers auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und andererseits dem Selbstbestimmungsrecht des Tendenzträgers „katholische Kirche“ abgewogen werden.

Im vorliegenden Fall hat BAG die Entscheidung zu Gunsten des Arbeitgebers getroffen. Die endgültige Begründung für das Urteil liegt noch nicht vor. Allerdings ergibt sich bereits aus der Pressemitteilung, welche tragenden Argumente für diese Entscheidung eine Rolle gespielt haben, die sich auch auf andere Kündigungsfälle übertragen lassen.

Entscheidend war für das BAG, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit unmittelbar als „Dienst am Menschen“ erbracht hat. Damit hatte er, gerade bei der Betreuung von Kindern bis zum 12. Lebensjahr, auch einen gewissen Sendungsauftrag der katholischen Kirche wahrzunehmen, selbst wenn keine religiösen Inhalte vermittelt werden. Der Arbeitgeber könne, so dass BAG, im verkündungsnahen Bereich bei dem schon erwähnten unmittelbaren Dienst am Menschen nicht gezwungen werden, einen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der nicht etwa nur an einem einzelnen Punkt den kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht mehr gerecht werde, sondern sich insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft losgesagt habe.

Über diese eher religiösen Fragen und den persönlichen Einsatz des Arbeitnehmers hinaus hat auch noch eine Rolle gespielt, dass für Sozialpädagogen außerhalb der katholischen Kirche gute Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, so dass der Arbeitnehmer nicht auf diesen Arbeitsplatz angewiesen war.

Soweit die Begründung im vorliegenden Fall. Welche Auswirkungen hat dieses Urteil und haben diese Gründe aber für vergleichbare Fälle:

Zum einen bestätigt das BAG die bereits bisher vorherrschende Unterscheidung zwischen Mitarbeitern, die im verkündungsnahen oder gar liturgischen Bereich tätig sind einerseits und anderen Mitarbeitern, die Dienste nicht direkt am Menschen leisten andererseits. Stärkeren Einschränkungen auch ihrer Glaubensfreiheit müssen sich danach diejenigen Mitarbeiter unterwerfen, die als Pfarrer, Pfarreranwärter oder ähnlicher Funktion mit Verkündungsauftrag tätig sind. Gleiches gilt beispielsweise auch für Religionslehrer, Kindergärtner, Kinderbetreuer etc.

Darüber hinaus nimmt das BAG aber auch eine Abwägung dahingehend vor, ob der Arbeitnehmer möglicherweise nur in dem einen oder anderen Punkt gegen eine kirchliche Regel verstößt oder er sich insgesamt von der Kirche losgesagt hat. Ein Kirchenaustritt – wie im vorliegenden Fall – ist natürlich eine besonders deutliche Entscheidung gegen die religiöse Ausrichtung des Arbeitgebers.

Aus dieser Unterscheidung zwischen einzelnen Verfehlungen und gänzlicher Abwendung lässt sich aber auch schließen, dass das Gericht möglicherweise bei einzelnen Verfehlungen eine Kündigungsberechtigung der Kirche oder ihrer Einrichtungen in Zukunft besonders sorgfältig prüfen wird und vielleicht einen wesentlich strengeren Maßstab anlegen wird, als dies bisher der Fall war.

Zugebenermaßen hat ein Sozialpädagoge, der in einer katholischen Einrichtung Kinder bis zum 12. Lebensjahr betreut, eine besondere Verantwortung, da gerade Kinder – positiv wie negativ – natürlich besonders beeinflussbar sind, und zwar unabhängig von der Frage, ob Aufgabe des Arbeitgebers auch die Vermittlung religiöser Inhalte ist. Aufgrund der gesteigerten Einflussnahmemöglichkeiten auf Kinder sind hier auch strengere Maßstäbe erlaubt, als vielleicht in anderen Fällen.

Im Jahr 2004 hatte das Bundesarbeitsgericht noch die Kündigung eines Kirchenmusikers für zulässig erklärt, bei dem sich herausgestellt hat, dass er bereits in zweiter Ehe verheiratet war. Ob eine solche Entscheidung heute und insbesondere unter Berücksichtigung der Urteilsgründe aus der vorliegenden Entscheidung nochmal so ergehen würde, erscheint höchst zweifelhaft.

Nach den jetzt vorgelegten Kriterien wäre die Kündigung wohl eher unwirksam gewesen: Zum einen hat ein Kirchenmusiker keinerlei Verkündungsauftrag und ist auch nicht in einem verkündungsnahen Bereich tätig. Er vermittelt keinerlei religiöse Anschauung o.ä.

Darüber hinaus fehlt es auch an einem unmittelbaren „Dienst am Menschen“, da regelmäßig zwischen dem Kirchenmusiker/Organisten und den Menschen kein unmittelbarer Kontakt zustande kommt.

Die Aufgabe eines Kirchenmusikers ist lediglich im musikalischen Bereich zu sehen. Die Frage, ob man mehr als einmal verheiratet ist, spielt u.U. noch (?) bei denjenigen Mitarbeitern eine Rolle, die einen Verkündungsauftrag haben, sicher aber nicht bei Arbeitnehmern, die keinerlei direkten Kontakt zu den Menschen haben, die sich dem Arbeitgeber anvertrauen. Mit anderen Worten: Die Musik, die der Kirchenmusiker spielt, ist nicht beeinflusst von der Frage, wie oft der Musiker verheiratet war oder ist.

Ähnliches hat das BAG zwischenzeitlich auch bei einem Chefarzt festgestellt, bei dem sogar noch hinzukam, dass eine Kündigung erst ausgesprochen wurde, als er das zweite Mal geheiratet hat. Das vorherige Zusammenleben mit der späteren zweiten Ehefrau in nichtehelicher Gemeinschaft war dem Arbeitgeber bekannt, hatte aber nicht zu entsprechenden arbeitsrechtlichen Maßnahmen geführt. Hier sprach besonders für den Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber sich erst dann zur Kündigung entschlossen hatte, als dieser einen aus Sicht der Kirche nicht wünschenswerten Zustand (nicht verheiratetes Zusammenleben) durch einen eher wünschenswerten Zustand (Ehe) ersetzt hat.

Fazit:

Insgesamt ist bei der Frage, wann Kirchen Arbeitnehmern wegen Verstößen gegen kirchenrechtliche Vorschriften kündigen dürfen, festzustellen, dass auch beim BAG eine differenziertere Auffassung vorherrscht, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Jeder Einzelfall ist konkret daraufhin zu prüfen, (1) wie nah der betroffene Arbeitnehmer dem sog. Verkündungsbereich steht, (2) ob er unmittelbar einen Dienst am Menschen leistet und (3) ob er sich ganz von der religiösen Glaubensgemeinschaft abgewendet hat oder nur in dem einen oder anderen Punkt gegen eine kirchliche Regel verstoßen hat. (4) Soziale Aspekte sind zusätzlich bei der Frage zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer in seinem Beruf auch außerhalb der Kirche eine angemessene Stelle finden kann. Dies ist bei Erziehern, Sozialpädagogen, Lehrern, Ärzten etc. sicherlich zu bejahen und bei Pfarrern eher zu verneinen.

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