LAG Mainz, Urteil vom 22. Februar 2012 Az: 3 Sa 474/09

Manchmal lassen sich auch ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen beim besten Willen nicht nachvollziehen. Als urteilslesender Fachanwalt kann man dann nur schulterzuckend die Hoffnung haben, dass sich die Gründe für die eine oder andere Entscheidung aus einem besonderen nicht mitgeteilten Sachverhaltsdetail ergeben.

Im vorliegenden Fall hatte ein Chirurg eine größere Operation durchzuführen. Während dieser Operation führte er regelmäßig minutenlange Privatgespräche mit seiner Ehefrau auf seinem Handy. Nach Angaben von Zeugen, die diesen Gesprächen beiwohnen (und mit der Operation so lange warten) mussten, war Gegenstand der Gespräche ein offensichtlich im Haus des Chirurgen tätiger Fliesenleger. Der Chirurg besprach in aller Ruhe, was mit dem Fliesenleger und seiner Arbeit zu geschehen habe. Durch Zeugenaussagen ebenfalls bestätigt, war auch der Hinweis einer Anästhesistin, der Blutdruck eines Patienten sei bereits „im Keller“.

Bei diesen Telefongesprächen handelte es sich nicht um Einzelfälle, sie kamen vielmehr regelmäßig bei Operationen vor.

Der Arbeitgeber hatte daraufhin fristlos gekündigt und die Kündigung mit einer Gefährdung des Patientenwohls begründet.

Das Gericht führte eine Interessenabwägung durch und kam zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Arztes gewichtiger seien, als die Argumente des Krankenhauses. Der Arzt habe, so das Gericht, Unterhaltsverpflichtungen und sei wegen seines Alters sozial besonders schutzbedürftig. Schließlich würde er nach einer Entlassung keine adäquate Stelle mehr finden. Der Arbeitgeber habe nicht sogleich kündigen dürfen, sondern erst abmahnen müssen.

Anmerkung:

Wer regelmäßig als Chirurg während einer Operation banale Privatgespräche auf dem Handy führt, hat ohnehin den hippokratischen Eid nicht verstanden. Wer sich dann noch nicht einmal durch einen Hinweis auf den schlechten Blutdruck des Patienten von Gesprächen über den Fliesenleger abhalten lässt, dürfte auch durch eine Abmahnung nicht aus der Ruhe zu bringen sein.

Jeder medizinische Laie weiß, dass Vollnarkosen immer ein gewisses Risiko bergen und das Risiko mit der Dauer der Vollnarkose zunimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn weitere Risikofaktoren (niedriger Blutdruck) hinzukommen.

Das Urteil ist schlicht nicht nachvollziehbar. Daran ändert letztlich auch nichts, dass das LAG den Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers abgewiesen hat. Dies jedoch nur deshalb, da der Arbeitgeber zwischenzeitlich wegen weiterer Vorfälle erneut gekündigt hatte und nicht feststand, wie das weitere Kündigungsschutzverfahren ausgehen werde (und nicht etwa zum Schutz der betroffenen Patienten…).

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