BAG, Urteil vom 22. Februar 2012, 4 AZR 24/10

Das Verhältnis arbeitsvertraglicher Regelungen einerseits zu Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen andererseits ist nicht in allen Fällen eindeutig.

Es ist unstreitig, dass normative Anspruchsnormen aus Tarifverträgen gegenüber solchen arbeitsvertraglichen Klauseln vorrangig sind, die den Arbeitnehmer schlechter stellen als der Tarifvertrag. Gleiches gilt für Betriebsvereinbarungen. Diese kollektiven Normen stellen jeweils Mindestarbeitsbedingungen dar, die zwar aus Sicht des Arbeitnehmers verbessert, nicht aber verschlechtert werden dürfen.

Einen bislang nicht klar geregelten Fall hat nun das BAG entschieden: Dort waren Arbeitnehmer langjährig in einem Krankenhaus im nicht ärztlichen Dienst beschäftigt und Mitglieder der Gewerkschaft ver.di. In ihren Arbeitsverträgen ist als sogenannte Bezugsnorm die Anwendbarkeit der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas) in der jeweils gültigen Fassung vereinbart worden. Auch  nachdem es zu einem Betriebsübergang gekommen war, sind diese AVR weiterhin in ihrer jeweils aktuellen Fassung auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger angewendet worden. Nach mehreren Jahren kam es zu einem Gesellschafterwechsel. Die neue Gesellschafterin als Konzernmutter hatte zuvor mit der Gewerkschaft ver.di verschiedene Tarifverträge für alle Unternehmen des Konzerns abgeschlossen.

Auch hinsichtlich des hier betroffenen Arbeitgebers kam es zu einer entsprechenden Einbeziehung mit der Folge, dass dieser Haustarifvertrag auch für das Arbeitsverhältnis der Kläger gelten sollte, unter Verdrängung der AVR Caritas.

Das BAG hat festgestellt, dass ein Tarifvertrag eine andere Tarifvereinbarung im Arbeitsvertrag nicht ablösen kann. Dies gelte sogar dann, wenn beide Parteien, nämlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer, durch Mitgliedschaft im jeweils tarifschließenden Verband tarifgebunden sind. Der Arbeitgeber kann nicht durch Abschluss eines Haustarifvertrages individuell einzelvertraglich getroffene Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag ändern. Dies gilt auch nicht hinsichtlich im Arbeitsvertrag enthaltener Bezugnahmeklauseln auf andere Tarifverträge.

Darüber hinaus hat das BAG noch einen weiteren Grund gefunden, warum der neue Haustarifvertrag vorliegend nicht eingreifen konnte: Abgeschlossen hatte den Haustarifvertrag nur die Muttergesellschaft. Das BAG hat entschieden, dass die Muttergesellschaft die Konzerntochter (Arbeitgeber) nicht ordnungsgemäß als Tarifvertragspartei vertreten hat und auch kein tariffähiger Verband als Vertreter aufgetreten ist.

Sollte eine solche Vertretung noch nachgeholt werden, könne der Haustarifvertrag beim Arbeitgeber neue Arbeitsverhältnisse erfassen, jedoch die bisherige Inbezugnahme der AVR in Altverträgen nicht ersetzen.

Würde allerdings der neue Tarifvertrag aus Arbeitnehmersicht günstigere Regelungen enthalten, als sie im bisherigen Arbeitsvertrag bzw. in den AVR enthalten sind, greift die neue Regelung aufgrund des allgemeinen Günstigkeitsprinzips ein.

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