BAG, Urteil vom 22. Januar 2019, 9 AZR 45/16:

 

Mit dem vorliegenden Urteil hat das Bundesarbeitsgericht sehr schnell auf zwei vorangegangene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 06. November 2018 (C 569/16 und C 570/16) reagiert.

Bisher hat das Bundesarbeitsgericht in Deutschland die Auffassung vertreten, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch als Anspruch auf eine Geldleistung nur vererbt werden könne, wenn der Arbeitnehmer das Ende des Arbeitsverhältnisses erlebt hat. Erst mit Ende des Arbeitsverhältnisses sollte sich der Anspruch auf Urlaubsgewährung (=Freizeit) in einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung (=Geld) umwandeln.

Im laufenden Arbeitsverhältnis bestand nach bisheriger Auffassung des BAG aber nur ein Anspruch auf Urlaubsgewährung, der nicht vererblich sein sollte.

Dem hat der Europäische Gerichtshof nun mit den Entscheidungen vom 06. November 2018 widersprochen. Die Richter des EuGH haben die Auffassung vertreten, dass auch der Urlaubsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis eine Vergütungskomponente enthalte. Es gehe nicht nur um die Freistellung des Mitarbeiters, sondern im Wesentlichen auch um die Weiterzahlung der Vergütung während der Freistellung. Diesen „Vergütungsteil“ des Urlaubsanspruches könne der Arbeitnehmer dann, wenn er im laufenden Arbeitsverhältnis versterbe, auch vererben.

Zum Zeitpunkt des Todes nicht genommener Urlaub könne daher als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse werden.

Der sich daraus ergebende Abgeltungsanspruch der Erben umfasse, so der EuGH, nicht nur den Anspruch auf den regulären Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz, sondern auch auf einen eventuellen Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (5 Tage nach SGB IX) sowie einen Anspruch auf Urlaub nach § 26 TVöD.

Wichtig ist allerdings, dass nur der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub insoweit vererblich sei.

Anmerkung:

Die Entscheidung ist nicht einfach zu verstehen. Insbesondere kann sich der EuGH – und ihm jetzt zwangsläufig folgend das BAG – nicht darauf berufen, die Entscheidung diene dem Arbeitnehmerschutz und berücksichtige die immer wieder zitierte „strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber“. In den hier entschiedenen Fällen war der Arbeitnehmer nämlich verstorben und konnte folglich nicht mehr („vor dem Arbeitgeber“) geschützt werden.

Der verstorbene Arbeitnehmer konnte sich auch nicht mehr durch Inanspruchnahme von Erholungsurlaub erholen. Die Weiterzahlung der Vergütung während des Urlaubs, die in Deutschland beispielsweise im Bundesurlaubsgesetz geregelt ist, dient letztlich nur dazu, dass der Arbeitnehmer den Urlaub auch tatsächlich zu Erholungszwecken nutzen kann, da seine Lebenshaltungskosten durch die Entgeltfortzahlung gedeckt sind. Auch dieses Argument greift bei einem Toten nicht mehr ein.

Bei einer Abwägung zwischen den Interessen der Erben und den Interessen des Arbeitgebers sollen nun die Interessen der Erben überwiegen. Anders ist letztlich die Entscheidung aus Sicht des Autors nicht zu begründen.

Mit diesem Urteil werden dem Arbeitgeber aber nicht nur zusätzliche Kosten aufgebürdet. Er geht auch noch ein ganz erhebliches Risiko ein: Der Arbeitgeber hat nämlich in der Regel keine Kenntnis davon, wer Erbe des Arbeitnehmers wird. Eine Auszahlung eventuell abzugeltender Resturlaubsansprüche kann somit nur erfolgen, wenn Anspruchsteller einen entsprechenden auf sich lautenden Erbschein vorlegen. Zahlt der Arbeitgeber beispielsweise im Glauben, die Witwe sei Erbin geworden, an diese den Urlaubsabgeltungsanspruch aus, ist denkbar, dass eine erneute Zahlung an den echten Erben erfolgen muss, der später einen Erbschein vorlegt.

Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, können Sie ihn mit anderen teilen!

 

 

Comments are closed.