EuGH, Urteil vom 18. Januar 2018 – Az: C-270/16

Im vorliegenden Fall hat der Europäische Gerichtshof Stellung zu der Frage bezogen, ob bei einer Kündigung wegen Krankheit auch solche Fehlzeiten berücksichtigt werden dürfen, die auf eine Behinderung zurückzuführen sind. Es war von einem spanischen Arbeitnehmer gerügt worden, häufige und längere Fehlzeiten aufgrund seiner Behinderung (Adipositas) seien der Kündigungsgrund, was ihn entgegen der Vorschriften des AGG diskriminieren würde.

Die Frage, in welchem Verhältnis eine krankheitsbedingte Kündigung einerseits und das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung andererseits zueinander stehen, wird auch in Deutschland diskutiert. Eine abschließende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hierzu liegt noch nicht vor.

In Spanien, wo der Fall sich ereignet hat, gelten etwas andere Regelungen als in Deutschland. Dort darf der Arbeitgeber dann personenbedingt kündigen, der Arbeitnehmer an einer bestimmten Anzahl von Tagen, die gesetzlich geregelt sind, gefehlt hat. Das Gesetz regelt auch, dass bestimmte Fehlzeiten hierbei nicht mitgezählt werden dürfen. Dazu zählen beispielsweise ein Streik, Mutterschutz, Schwangerschaft, ein Arbeitsunfall aber auch Vaterschaft und krankheitsbedingte Abwesenheiten, die „von der Gesundheitsbehörde“ bestätigt, somit genehmigt sind.

Unabhängig von diesen zum Deutschen Recht bestehenden Unterschieden hat der Europäische Gerichtshof aber ausgesprochen, dass durchaus auch Krankheitszeiten für eine Kündigung berücksichtigt werden können, die auf eine Schwerbehinderung zurückzuführen sind. Allerdings muss die Schwerbehinderung und die damit verbundene Beeinträchtigung eines Arbeitnehmers durch das entscheidende Gericht geprüft und gewürdigt werden. Der EuGH weist dem entscheidenden Gericht auch die Aufgabe zu, zu prüfen, ob der jeweilige Gesetzgeber genug zum Schutze von Schwerbehinderten getan hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit behinderungsbedingte Fehlzeiten bei einer Kündigungsentscheidung berücksichtigt werden, hat das Fachgericht eine vom EuGH bestätigte große Entscheidungsfreiheit.

Anmerkung:

Letztlich kommt es wieder auf den Einzelfall an, wobei der EuGH aber bestätigt, dass nach wie vor auch bei (Schwer-)Behinderten krankheitsbedingte Fehlzeiten bei der Frage berücksichtigt werden dürfen, ob eine krankheitsbedingte Kündigung zulässig ist.

In den Erwägungsgründen des Gerichts findet sich auch der Hinweis, dass für Arbeitgeber noch ein Anreiz bestehen muss, Behinderte einzustellen und weiter zu beschäftigen, indem das Recht vorsieht, dass Arbeitnehmer entlassen werden können, die krankheitsbedingt wiederholt eine Reihe von Tagen fehlen.

Ferner seien bei der Interessenabwägung auch Maßnahmen des Staates zu berücksichtigen, die darauf zielen, Schwerbehinderten wieder einen Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu sonstigen Leistungen zu verschaffen, wozu in Deutschland beispielsweise die Leistungen des Integrationsfachdienstes zählen.

Das Gericht sieht es durchaus als zulässig an, wenn der nationale Gesetzgeber Regelungen erlässt, um dem vom Gericht sogenannten „Absentismus“ am Arbeitsplatz entgegen zu wirken. Dazu zählen auch krankheitsbedingte unregelmäßige und kurzzeitige Abwesenheiten vom Arbeitsplatz mit Blick auf die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und -effizienz. Auch insoweit räumt das Gericht den Mitgliedstaaten einen weiten Wertungsspielraum ein.

 

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