BAG, Beschluss vom 06. Juni 2018 – Az: 1 BvL 7/14; 1 BvR 375/14

Vorliegend haben ein Arbeitsgericht und ein Arbeitnehmer die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu einer Karenzzeit beim Abschluss von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen gerügt und einen Verfassungsverstoß geltend gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anliegen stattgegeben und die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als grundgesetzwidrig eingeordnet. Die gesamte Arbeitsgerichtsbarkeit muss daher ihre diesbezügliche Rechtsprechung ab sofort ändern, Arbeitgeber müssen in Zukunft bei Einstellungen noch genauer auf eine Vorbeschäftigung prüfen.

Im Einzelnen:

§ 14 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) sieht in Absatz 2 Satz 2 folgendes vor:

Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat“.

Im Arbeitsrecht ist seit Einführung dieser neuen Regelung im Dezember 2000 die Auslegung des Begriffs „zuvor“ höchst streitig. Bei wörtlicher Auslegung ist jedes vorangehende Arbeitsverhältnis gemeint. Eine bestimmte Karenzfrist ist hier nicht vorgesehen.

Diese Regelung hat in der Praxis überwiegend heftige Kritik erfahren, und zwar sowohl von Arbeitgeber- als auch von Arbeitnehmerseite. Ziel einer solchen Regelung ist es offenkundig, Kettenbefristungen ohne Befristungsgrund zu vermeiden. Das Vorgängergesetz (§ 1 Absatz 3 Beschäftigungsförderungsgesetz) hatte hier eine Karenzzeit von vier Monaten vorgesehen: Nach einer Unterbrechung von vier Monaten durfte ein neues sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber geschlossen werden. Diese Karenzzeit war z.T. für zu kurz erachtet worden. Statt sie zu verlängern hat der Gesetzgeber aber das Wort „zuvor“ verwendet. Dies hatte dann in der Praxis zur Folge, dass beispielsweise ein Fünfzigjähriger nicht sachgrundlos befristet eingestellt werden durfte, weil er (so ein Fall des Autors) mit 16 im Rahmen eines Ferienjobs beim gleichen Arbeitgeber (Rasenmähen, Keller aufräumen, Hof kehren) gearbeitet hatte.

Obgleich solche und ähnliche Fälle als absolut unbefriedigend angesehen wurden und anerkannt war, dass die vorzitierte gesetzliche Regelung wirklich unsinnig ist, gab es von Seiten des Bundesgesetzgebers keine Bemühungen, dies zu ändern, was ja einfach möglich gewesen wäre.

Das Bundesarbeitsgericht konnte dann offensichtlich dieser völlig unbefriedigenden Situation nicht länger zusehen und hat in einer in der Tat denkwürdigen Entscheidung festgehalten, dass der Begriff „zuvor“ mit „in den letzten drei Jahren“ zu übersetzen sei. Auf diese Weise sollte eine in der Tat praxisgerechte und sinnvolle Regelung geschaffen werden, die im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wäre.

Diese Entscheidung des BAG hätte dazu führen sollen, dass der Ferienjob aus der Jugendzeit einer neuen Einstellung im Rahmen eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages nicht mehr entgegenstünde.

Die Entscheidung des BAG war letztlich eine Hilfeschrei der Rechtsprechung und eine Anklage an die Bundesregierung(-en), dies es in 18 Jahren nicht geschafft haben, den o.g. redaktionellen „Fehler“ seitens des Gesetzgebers zu beseitigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber nunmehr – erwartungsgemäß – klargestellt, dass „richterliche Rechtsfortbildung den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen darf“, so gut und vernünftig dies

Zum Hintergrund:

Die vom BAG angenommene dreijährige Karenzzeit hat weder im Gesetzestext des TzBfG noch in dessen Motiven irgendeinen Rückhalt gefunden. Das BAG hat nicht, was seine Aufgabe als Gericht ist, bestehendes Recht ausgelegt und angewendet, sondern neues Recht geschaffen. Die vom BAG in der angegriffenen Entscheidung gegebenen Gründe für einen Karenzzeitraum einerseits und gerade für eine Karenzzeit von drei Jahren andererseits, haben diese Entscheidung von vorneherein nicht tragen können. Sie waren letztlich ergebnisorientiert und hätten eine entsprechende Gesetzesinitiative im Bundestag sehr gut begründen können. Die Aufgabe der Gerichte ist im Rahmen der Gewaltenteilung aber nicht die Schaffung neuen Rechts, was das Bundesverfassungsgericht jetzt nochmals deutlich ausgesprochen hat.

Gute anwaltliche Berater haben Arbeitgebern in jüngerer Zeit ohnehin geraten, die eigentlich für sie günstige BAG-Rechtsprechung beim Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen nicht zu beachten, sondern sich nur an den Gesetzestext zu halten. Wie gut und vorausdenkend dieser Rat war, zeigt sich jetzt:

Auswirkungen auf die Praxis:

Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass es bei der wörtlichen Auslegung des TzBfG bleibt: Der Abschluss eines sachgrundlos befristeten Vertrages ist nur zulässig, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien zuvor noch niemals ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, gleichgültig wie lange dies zurückliegen mag und wie lange es gedauert haben mag. Auch der Ferienjob als sechzehnjähriger hindert daher grundsätzlich eine wirksame sachgrundlose Befristung im fortgeschrittenen Erwerbsalter.

Arbeitgeber, die möglicherweise auf die Wirksamkeit der jüngeren BAG-Rechtsprechung (Karenzfrist von drei Jahren) vertraut haben, müssen sich nunmehr auf Entfristungsklagen einstellen, da hiervon betroffene Arbeitnehmer nunmehr auf die Unwirksamkeit einer vereinbarten Befristung klagen könnten. Dies gilt zumindest, soweit der Arbeitsvertrag noch andauert bzw. wenn seit dem vorgesehenen Befristungsende nicht mehr als drei Wochen vergangen sind.

Hat beispielsweise ein Arbeitgeber vor einem Jahr einen Arbeitnehmer ohne Sachgrund befristet für zwei Jahre eingestellt, der fünf Jahre zuvor schon einmal in einem Arbeitsverhältnis zum gleichen Unternehmen stand, ist zwar der damals geschlossene Arbeitsvertrag wirksam, nicht aber die gleichzeitig vereinbarte Befristung. Abgeschlossen wurde somit ein unbefristeter Vertrag.

Diesen Arbeitgebern hilft es jetzt auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung einen aus Sicht des Autors deutlichen Hinweis an die Bundesregierung verbunden hat, hier – möglicherweise im Sinne der BAG-Absicht – eine Gesetzesänderung herbeizuführen.

So richtig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts generell ist, so wenig nachvollziehbar sind Teile des Beschlusses. So greift das Bundesverfassungsgericht beispielsweise den o.g. Fall mit dem Ferienjob auf. Hier soll das sich aus dem aktuellen Gesetz (§ 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG) ergebende Verbot „unzumutbar“ sein und damit wohl nicht gelten. Unzumutbar sei eine Anwendung des Gesetzes beispielsweise allgemein auch dann, wenn eine Vorbeschäftigung „sehr lange zurück liegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist“. Dies sei beispielsweise der Fall bei geringfügigen Nebenbeschäftigungen während der Schul-, Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden, studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich ihrer Berufsqualifizierung oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung der Erwerbsbiografie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergehe. Die Arbeitsgerichte, so das Bundesverfassungsgericht, können und müssen in derartigen Fällen durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG einschränken.

Dies gibt aber nun allen Beteiligten Steine statt Brot: Die vom Bundesverfassungsgericht aufgeführten Fälle sind nicht klar abgrenzbar. Was bedeutet „sehr lange zurück liegt“? Was ist eine „sehr kurze Dauer“? Wann ist ein ehemaliges Arbeitsverhältnis anders geartet als das geplante neue befristete Arbeitsverhältnis? Was ist eine freiwillige Unterbrechung der Erwerbsbiografie?

Die „Auslegung“ des Bundesarbeitsgerichts dahingehend, dass eine „sehr lange zurück liegende“ Vorbeschäftigung eine solche sei, die mehr als drei Jahre zurückliege, hat das Bundesverfassungsgericht als unzulässigen Eingriff in die Gesetzgebungshoheit der Legislative angesehen. Wie soll hier ein Arbeitsgericht entscheiden, was dann noch eine zulässige verfassungskonforme Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG ist und wo ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung beginnt?

Das Bundesverfassungsgericht sieht, dass die derzeitige Regelung in ihrer umfassenden Auslegung (jede Vorbeschäftigung) nicht verfassungskonform ist und möglicherweise auch gegen Artikel 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit) verstoßen könnte. Die Entscheidung, wo ein Verstoß vorliegt wird aber nicht getroffen, mit der Folge, dass in Zukunft jedes Arbeitsgericht insoweit auf sich allein gestellt ist und entsprechende Entscheidungen jeweils zu Verfassungsbeschwerden führen dürften.

Im Ergebnis ist der Gesetzgeber nunmehr – mehr als je zuvor – dringend aufgefordert, hier eine klare Regelung zu verabschieden im Sinne einer Karenzfrist, die irgendwo zwischen sechs Monaten und drei Jahren liegen dürfte.

 

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