BAG, Beschluss vom 16. November 2017, Az: 2 AZR 90/17 (A)

Das BAG hat dem Europäischen Gerichtshof eine interessante Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Dabei geht es um § 17 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG. Nach dieser Vorschrift des Kündigungsschutzgesetzes ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige zu stellen, wenn mehr als 10% der Beschäftigten von einer Kündigung innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen betroffen sind.

Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber zunächst mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbart. Sodann hat er begonnen, Kündigungen auszusprechen. In einem Zeitraum vom 24. November 2014 bis zum 24. Dezember 2014 sprach der Arbeitgeber insgesamt mindestens 12 Kündigungen aus. Der Arbeitnehmer vertrat die Auffassung, beim Arbeitgeber seien unter 120 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass die Grenze von 10% erreicht sei. Mangels vom Arbeitgeber durchgeführter Massenentlassungsanzeige sei die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung unwirksam.

In seiner Not hat sich der Arbeitgeber darauf berufen, er beschäftige mehr als 120 Beschäftigte. Es seien nämlich noch vier bei ihm eingesetzte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, so dass die 10%-Grenze noch nicht erreicht sei.

Es kommt selten vor, dass Arbeitgeber die Auffassung vertreten, Leiharbeitnehmer seien wie übliche Stammmitarbeiter zu bewerten und für die Erreichung eines bestimmten Quorums mitzuzählen. Umgekehrt wird nämlich die Reduzierung der Zahl der Leiharbeitnehmer auch dann, wenn hier das Quorum von 10% der Gesamtbeschäftigten erreicht wird, nicht als Massenentlassung gewertet. Stellt man also auf die zu entlassenden Personen ab, werden Arbeitnehmer gezählt.

Die vorliegende Argumentation des Arbeitgebers hat nun dazu geführt, dass das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ggf. Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG zu berücksichtigen sind, durch den EuGH klären lässt.

Da § 17 der Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG dient, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht selbst entscheiden, sondern musste hier den Europäischen Gerichtshof anrufen.

Anmerkung:

Dieser „Schuss aus der Not“ im vorliegenden Verfahren könnte buchstäblich nach Hinten losgehen:

Vorliegend hat der Arbeitgeber versucht, unter Hinzuzählung der Leiharbeitnehmer zur Zahl der Stammbeschäftigten, das Quorum für eine Massenentlassungsanzeige von 10% zu unterschreiten.

Sollte der Europäische Gerichtshof aber zu dem Ergebnis kommen, dass Leiharbeitnehmer wie Stammmitarbeiter im Sinne von § 17 zählen, könnte dies ungeahnte Auswirkungen haben. Dann nämlich wäre es denkbar, dass Arbeitgeber auch dann eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, wenn sie überhaupt keine oder nur wenige Stammbeschäftigte entlassen, sie aber die Zahl der Leiharbeitnehmer reduzieren wollen. Mit Blick auf diese denkbaren Auswirkungen der Anfrage wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, im vorliegenden Fall die Kündigung noch ein zweites Mal auszusprechen, diesmal ggf. nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige.

 

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