BAG, Urteil vom 12. Juli 2016, Az: 9 AZR 352/15

Das Thema Arbeitnehmerüberlassung und (Schein-)Werkverträge ist aktueller denn je. In vielen Fällen schließen Unternehmen Werkverträge, die die Überlassung von Arbeitnehmern des Werkunternehmers an den Besteller zur Erbringung der Werkleistung zum Inhalt haben.

In der Praxis gibt es dabei Fälle, bei denen Gerichte zu dem Schluss kommen, dass kein wirksamer Werkvertrag vorliegt. Hintergrund ist meist, dass nicht der vermeintliche Werkunternehmer das Direktionsrecht über die überlassenen Mitarbeiter ausübt, sondern vielmehr das Kundenunternehmen. Dies ist dann der typische Fall einer Arbeitnehmerüberlassung.

Für den Fall, dass der Arbeitgeber, also der vermeintliche Werkunternehmer, keine Erlaubnis zur entgeltlichen Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) hat, sehen §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG vor, dass ein direktes Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Mitarbeiter einerseits als Arbeitnehmer und dem Kunden (Auftraggeber) als Arbeitgeber andererseits zustande kommt. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung verhindert oder doch zumindest so stark sanktioniert werden, dass sie für „Entleiher“ uninteressant wird.

In dem jetzt vom BAG entschiedenen Fall war eine Arbeitnehmerin zehn Jahre lang im Rahmen eines vermeintlichen Werkvertrages an einen Kunden des Arbeitgebers überlassen worden. Die Gerichte kamen hier zu der Auffassung, dass kein echter Werkvertrag vorliege, sondern es sich in Wahrheit, bei genauer Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse in den letzten zehn Jahren, um eine Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat.

Hier hatte der Arbeitgeber aber bereits vorgebaut und sich sicherheitshalber eine Erlaubnis zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung erteilen lassen. Er berief sich darauf, dass statt des ursprünglich beabsichtigten Werkvertrages nunmehr zwar eine Arbeitnehmerüberlassung vorliege, diese sei aber jedenfalls rechtmäßig, da er zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung berechtigt sei.

Trotzdem hat die Arbeitnehmerin gegen den Kunden des Arbeitgebers geklagt und wollte festgestellt wissen, dass hier ein Arbeitsvertrag direkt zustande gekommen sei. Sie hat damit argumentiert, dass der Kunde sich nicht auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des vermeintlichen Werkvertragunternehmers berufen könne, da vorliegend eine verdeckte, als Werkvertrag getarnte Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe und hier der Kunde des vermeintlichen Werkvertragunternehmers ebenso „bestraft“ werden müsste und sie als Arbeitnehmerin ebenso geschützt werden müsse, wie bei einer Arbeitnehmerüberlassung, bei der von vorneherein eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis fehle.

Dem ist das BAG nicht gefolgt, was für viele Unternehmen in diesem Bereich große Bedeutung hat:

Die Richter am BAG sehen hier keine Veranlassung, die Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auszuweiten. Der Gesetzgeber hat für die Fälle fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse eine klare Schutzregelung zugunsten der Arbeitnehmer vorgesehen, die in den Genuss eines direkten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher kommen. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. Zwar seien Arbeitnehmer auch bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung schutzwürdig, dieser Schutz erfordere aber nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem verdeckten Entleiher. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitgeber sei gegeben, so dass die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher nicht in Betracht komme.

Praxistipp:

Diese Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht hilft in erster Linie den verdeckten „Entleihern“. Problematisch bleiben verdeckte Arbeitnehmerüberlassungen aber nach wie vor für den Verleiher, und zwar möglicherweise mit existenzbedrohenden Wirkungen:

Stellt sich ein ursprünglich als Werkvertrag, Dienstvertrag o. ä., gedachter Vertrag als Arbeitnehmerüberlassungsverhältnis dar, ist es durchaus möglich, dass statt eines angedachten freien Dienstvertrages zwischen dem die Arbeitsleistung erbringenden Menschen und dem Verleiher ein Arbeitsvertrag zustande kommt. Hier handelt es sich dann um einen Fall der sogenannten Scheinselbständigkeit.

Den Verleiher treffen dann aber die Arbeitgeberpflichten im Rahmen einer gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung. Kommt insoweit – was bei diesen Fallgestaltungen äußerst selten ist – kein Tarifvertrag zur Anwendung, trifft den Verleiher nämlich die Verpflichtung des Equal Treatment: Der verliehene Arbeitnehmer ist genauso zu behandeln und insbesondere zu vergüten, wie Arbeitnehmer des Entleihers mit vergleichbarer Beschäftigung. In der Regel hat dies zur Folge, dass der verliehene Arbeitnehmer erhebliche Nachzahlungsansprüche gegen den Verleiher geltend machen kann, um auf das gleiche Vergütungsniveau wie Arbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit beim Entleiher zu kommen. Hinzu kommen dann noch finanzielle Ausgleichsleistungen für sonstige geldwerte Leistungen, die Arbeitnehmer des Entleihers von ihrem Arbeitgeber erhalten. Denkbar sind hier die Überlassung eines Dienstwagens, verbilligte Kantinenbesuche, Versicherungsleistungen, betriebliche Altersversorgungsleistungen etc.

Mit anderen Worten: Der entliehen Arbeitnehmer kommt in den Genuss aller Vorteile des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, insbesondere des Equal Treatment. Der Entleiher muss nicht befürchten, dass ein Arbeitsvertrag direkt mit dem bei ihm möglicherweise über viele Jahre tätigen Beschäftigten zustande kommt. Das Risiko trägt letztlich allein der Verleiher, mit dem unter Umständen im Rahmen der Scheinselbständigkeit ein Arbeitsverhältnis zustande kommt und der auch nachträglich auf Erfüllung der Verpflichtung des Equal Treatment in Anspruch genommen werden kann, ohne sich hierfür beim Entleiher schadlos halten zu können.

ACHTUNG:

Hier ticken für manche Dienstleistungs-, Werkleistungs- und Verleihunternehmen Zeitbomben erheblichen Ausmaßes. Es ist wichtiger denn je, rechtzeitig die Frage prüfen zu lassen, ob tatsächlich Dienst- oder Werkverträge vorliegen. Auch die neuen gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung sollen – dies ist dann politischer Wille – die Arbeitnehmerüberlassung noch unattraktiver machen.

 

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