Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 10. März 2016, Az: 11 Ca 6834/15
Seit Einführung des Mindestlohnes stellt sich für viele Arbeitgeber regelmäßig die Frage, ob und gegebenenfalls welche Entgeltbestandteile, die mit Arbeitnehmern tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich in der Vergangenheit vereinbart worden sind, auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen sind. Besonders im Fokus stehen hier häufig Zahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In der Praxis stellt sich die Frage, ob solche Leistungen auf den Stundenlohn heruntergebrochen und bei der Prüfung, ob der Mindestlohn gezahlt wird, berücksichtigt werden können.
In einem solchen Fall hat das Arbeitsgericht Stuttgart die Anrechnung nunmehr bejaht. Es hat darauf hingewiesen, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld in der Regel Gehaltsbestandteile sind. Daher seien sie auch bei der Berechnung des insoweit zu ermittelnden Stundenlohns zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Zahlungen monatlich und nicht jährlich erfolgen. Dann schadet auch ein Hinweis nicht mehr, es handele sich um „freiwillige Zahlungen“.
Konkret ging es um eine Verkaufshilfe, die monatlich in Teilzeit 120 Stunden gearbeitet hat. Sie erhielt ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von € 1.020,50, in dem auch Beträge in Höhe von € 38,57 bzw. € 58,15 als „Sonderzahlung/anteiliges Weihnachtsgeld bzw. Urlaubsgeld“ enthalten waren. Diese Vergütung erfüllt nur unter Einbeziehung von Weihnachts- und Urlaubsgeld die Vorschriften zum gesetzlichen Mindestlohn.
Das Arbeitsgericht hat darauf abgestellt, es würde sich vorliegend um echte Gehaltsbestandteile handeln. Andere Zwecke, wie etwa Betriebstreue oder ein besonderes Erholungsbedürfnis (Urlaubsgeld), würden nicht verfolgt werden, zumindest würde sich dies nicht aus den vertraglichen Vereinbarungen ergeben. Außerdem erfolgten die Sonderzahlungen nicht jährlich, sondern monatlich. Der Hinweis auf eine „freiwillige“ Zahlung ändere hieran auch nichts. Nach der konkreten Formulierung im Arbeitsvertrag könne der Arbeitgeber bereits gezahlte Beträge nicht einseitig widerrufen, zulässig sei allenfalls eine mögliche Änderung für die Zukunft.
Solange also Weihnachts- und Urlaubsgeld gezahlt würden, seien diese Leistungen auf den Lohn und den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.
Praxistipp:
Diese Entscheidung stellt einen wichtigen Sonderfall dar. Allerdings sollte die zukünftige Rechtsprechung beobachtet werden.
Dies gilt zum einen für Fälle, in denen Weihnachts- und Urlaubsgeld, wie allgemein üblich, als Einmalzahlungen erfolgen und nicht als laufende monatliche Leistungen. Jährliche Zahlungen dürften einer Anrechnung auf den Mindestlohn wohl entgegenstehen.
Das gleiche gilt dann, wenn der Arbeitgeber einen echten, wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt vorgesehen hat bzw. die Betriebstreue als Grund für die Gratifikationszahlungen genannt wird.
Soweit möglich empfiehlt es sich daher auch in Zukunft, trotz dieses Urteils, im Rahmen von Änderungsvereinbarungen Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den Stundenlohn direkt umzulegen (und nicht nur eine monatliche Zahlung vorzusehen).