Arbeitnehmereigenschaft von Zirkusartisten

Am 21. Dezember 2015, von Michael Eckert

BAG, Urteil vom 11. August 2015 – 9 AZR 98/14

Das Thema „Scheinselbständigkeit“ beschäftigt die Arbeitsgerichte nach wie vor. Zwar ging es hier um den recht speziellen Fall einer Artistengruppe in einem Zirkus. Die hier zum Ausdruck kommenden rechtlichen Überlegungen lassen sich jedoch auf eine ganze Reihe von anderen Fällen übertragen, beispielsweise beim Einsatz von Artistengruppen im Bereich von Eventverpflegung oder den gerade in der Vorweihnachtszeit – aufgrund der dort häufig stattfindenden Weihnachtsfeiern – beliebten „Palazzo“-Veranstaltungen.

Vorliegend ging es um eine Artistengruppe, die sich um den Auftritt in einem Zirkusunternehmen beworben hatte. Ihr Programm stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest und zwar zur Veranschaulichung auf einem Video dokumentiert.

Das BAG hat, wie in der Vergangenheit auch, erneut entschieden, dass es für die Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitsverhältnis oder ein freies Rechtsverhältnis vorliegt, auf die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ankomme. Da das Bundesarbeitsgericht eine reine Rechtsinstanz ist, kommt der letzten Tatsacheninstanz, dem Landesarbeitsgericht, ein Beurteilungsspielraum zu. Das BAG als Revisionsgericht hat die Würdigung der Fakten durch das Landesarbeitsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob diese in sich widerspruchsfrei ist oder gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze bzw. zwingendes Recht verstößt.

Der Vertrag zwischen dem Zirkus und der Artistengruppe war als „Vertrag über freie Mitarbeit“ bezeichnet worden. Nachdem ein Mitglied der Artistengruppe bei der Premierenveranstaltung verunglückt war, stellten die Mitglieder der Artistengruppe fest, dass vom Unternehmen keine Krankenversicherung für sie abgeschlossen war. Sie weigerten sich dann aufzutreten, was zur Kündigung des Vertrags durch den Zirkus führte. Die Artisten erhoben daraufhin Kündigungsschutzklage, die jedoch nunmehr letztinstanzlich abgewiesen wurde.

Nach unterschiedlichen Entscheidungen in den Vorinstanzen hat das BAG das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses verneint. Im Wesentlichen fehle es an dem für ein Arbeitsverhältnis charakteristischen Weisungsrecht. Die Tatsache, dass kein Weisungsrecht bestand, ergab sich zum einen aus dem Vertrag, zum anderen aber auch aus den sonstigen Umständen. Hier spielte insbesondere eine Rolle, dass die Leistungen der Artistengruppe bereits im Vorfeld feststanden und von dieser Gruppe eigenständig entwickelt waren. Gegenstand des Vertrages war eine feste Artistennummer, die zuvor sogar schon auf Video festgehalten worden war. Hier wurde also bereits ein festes „Produkt“ verkauft, für Weisungsrechte etc. gab es insoweit keinen Raum mehr.

Auch in der praktischen Handhabung wurde hiervon wohl nicht abgewichen.

Praxistipp:

Der schriftliche Vertrag, in dem beispielsweise eine freie Dienstleistung vorgesehen wird, spielt für die Beurteilung, ob tatsächlich doch ein Arbeitsvertrag vorliegt, letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist immer, wie das Vertragsverhältnis in der Praxis gelebt worden ist. Auch dann, wenn dies in dem schriftlichen Vertrag ausdrücklich in Abrede gestellt wird, in der Praxis sich aber eine Weisungsgebundenheit, eine fremdbestimmte Arbeit und persönliche Abhängigkeit verbirgt, ist von einem Arbeitsverhältnis auszugehen.

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