Wirksame Altersgrenzen in Betriebsvereinbarungen

Am 27. Mai 2013, von Michael Eckert

BAG, Urteil vom 05. März 2013; 1 AZR 417/12

Das Bundesarbeitsgericht hat eine sowohl für das Arbeitsvertragsrecht, das Betriebsverfassungsrecht als auch im Zusammenhang mit Diskriminierung wichtige Entscheidungen gefällt: Ein im Jahr 1942 geborener Arbeitnehmer war seit 1980 bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Dort gab es aus dem 1976 eine Betriebsvereinbarung, wonach sämtliche Arbeitnehmer/-innen mit Erreichen des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, und zwar gleichgültig, was der Arbeitsvertrag vorsieht. Der Arbeitgeber berief sich hierauf und vertrat die Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei beendet. Der Arbeitnehmer hat sich mit einer beim Arbeitsgericht erhobenen Klage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewandt, ist aber in allen drei Instanzen gescheitert. Das BAG hat ausdrücklich festgestellt, dass der Arbeitgeber und der Betriebsrat (vorliegend: Gesamtbetriebsrat) in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung eine wirksame Altersgrenze festlegen können, mit der Folge, dass Arbeitnehmer mit Erreichen dieser Altersgrenze ausscheiden. Dabei müssten die Betriebsparteien die Grundsätze von Recht und Billigkeit gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG beachten. Diese Grundsätze sollen, so das BAG nur gewahrt sein, wenn die Altersgrenze an dem Zeitpunkt anknüpft, zu dem Arbeitnehmer die Regel Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen kann, und zwar ohne Einschränkung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme in den zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Arbeitsvertrag. Die Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Arbeitsvertrag wird durch die insoweit vorrangig Altersgrenzen-Regelung in der Betriebsvereinbarung verdrängt.

Anmerkung/Praxistipp:

Die Entscheidung ist bemerkenswert. Dies nicht so sehr, weil das BAG eine Altersdiskriminierung verneint hat. Regelungen, wonach das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze und einer Rentenbezugsmöglichkeit endet, sind auch individualvertraglich zulässig. Hintergrund hierfür ist, dass ein älterer Arbeitnehmer, der grundsätzlich Altersrente beziehen könnte, in der Regel den Arbeitsplatz für einen jüngeren Arbeitnehmer oder Auszubildenden „blockiert“. Hier ist eine Abwägung vorzunehmen, die in der Regel zumindest nach dem bisher vorherrschenden Alterskegel eine Vertragsbeendigung mit älteren Arbeitnehmer erlaubt, um insoweit Raum für die jüngere Generation zu schaffen und somit auch einen Beitrag gegen Jugendarbeitslosigkeit zu leisten.

Auch aus Sicht des Arbeitgebers besteht ein erhebliches Interesse daran, das Arbeitsverhältnis älteren Arbeitnehmern irgendwann enden (können), um letztlich eine Vergreisung des Betriebes zu verhindern und eine vernünftige Altersstruktur zu sichern. Dies ist auch deshalb wichtig, um sich jung ausgebildeten Mitarbeitern zu öffnen und die Krankenquote einigermaßen „im Griff“ halten zu können.

Viel erstaunlicher ist für mich, die Tatsache, dass Arbeitgeber und Betriebsrat letztlich die Befristung eines zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unbefristet abgeschlossenen Arbeitsvertrages „beschließen“ können. Dies ist in meinen Augen ein nicht zulässiger Eingriff in die Privatautonomie.

Zugegebenermaßen hat der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz auch an anderer Stelle die Möglichkeit, private Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu beeinflussen, zu ermöglichen oder zu verbieten. Dies gilt erst recht im Rahmen einer Betriebsvereinbarung, die auch in individuelle vertragliche Rechte eingreifen kann.

Ein solcher Eingriff in individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten Regelungen beispielsweise durch eine Betriebsvereinbarung (sogenannte verschlechternde Betriebsvereinbarung) stellt aber aus gutem Grund die Ausnahme dar. Solche Eingriffsmöglichkeiten sind auch immer gesetzlich durch entsprechende Ermächtigungsnormen im Betriebsverfassungsgesetz hinterlegt. Mit anderen Worten: Der Betriebsrat kann nur dort in individuell vereinbarte Rechte des Arbeitnehmers eingreifen, wo es eine entsprechende Ermächtigungsnorm im Betriebsverfassungsgesetz gibt.

Meines Erachtens gilt dies aber nicht für eine Betriebsvereinbarung, die eine Beendigung des Arbeitsvertrages zum Inhalt hat. Insoweit handelt es sich auch nicht mehr um Regelungen, die der Gestaltung und Ausfüllung des Arbeitsvertrages dienen, sondern gerade dessen Beendigung.

Ich kann im Betriebsverfassungsgesetz keine entsprechende Ermächtigungsnorm finden, die es dem Betriebsrat – gemeinsam mit dem Arbeitgeber in Form einer Betriebsvereinbarung – erlauben würde, ein ursprünglich unbefristetes Arbeitsverhältnis nachträglich zu befristen und das Arbeitsverhältnis damit zu beenden.

Schließlich ergeben sich Bedenken gegen die Zulässigkeit und Wirksamkeit der hier in Rede stehenden Betriebsvereinbarung auch wegen des gesetzlich festgeschriebenen Tarifvorbehalts: Nach § 4 Tarifvertragsgesetz und § 77 Abs. 3 BetrVG dürfen Regelungen, die in einem Tarifvertrag enthalten sind oder üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Tatsache, dass Tarifverträge Altersbegrenzungen enthalten, ist allgemein bekannt. Daher dürfte hier auch die tarifvertragliche Sperrwirkung eingreifen.

Auch die vom BAG beschworen Interessenabwägung sowie ein Abstellen auf die Grundsätze von Recht und Billigkeit helfen vorliegend nicht weiter. Ob ein Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet abgeschlossen wird, kann nicht nachträglich, ohne Rücksprache mit dem Arbeitnehmer als Vertragspartner des Arbeitsvertrages durch den Betriebsrat und den Arbeitgeber anders beurteilt werden, als es die Vertragsparteien selbst bei Vertragsabschluss beurteilt haben.

Hinzukommt auch noch, dass eine Berücksichtigung individueller Aspekte völlig unberücksichtigt bleibt: Geprüft werden müsste nämlich eigentlich in jedem Einzelfall, ob individuell das Interesse des Arbeitgebers an einer Vertragsbeendigung oder das Interesse des Arbeitnehmers an einer Fortsetzung des Vertrages auch über die Regelaltersgrenze hinaus stärkeres Gewicht hat. So kann beispielsweise individuell für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechen, wenn der Arbeitnehmer zwar die Regelaltersgrenze erreicht und Anspruch auf ungeschmälerte Altersrente hat, er jedoch möglicherweise nicht genug Rentenansprüche erworben hat, um hiervon tatsächlich „leben“ zu können. Hier konnte er sich bisher auf den unbefristet abgeschlossenen Arbeitsvertrag verlassen: So lange er in der Lage war, die vertraglich vereinbarten Arbeitsleistungen zu erbringen, hatte er ein gesichertes Einkommen und konnte insbesondere auch weitere Rentenanwartschaften erwerben. Darüber hinaus können auch Interessen des Arbeitgebers für eine Verlängerung des Arbeitsverhältnis sprechen, etwa um einen nicht zu ersetzenden Spezialisten im Unternehmen zu halten. Völlig unberücksichtigt bleibt bei einer Betriebsvereinbarung, die ein Ende des Arbeitsvertrages mit Erreichen der Regelaltersgrenze zwingend vorschreibt, auch, ob der Arbeitsplatz überhaupt wieder besetzt werden soll, ob also Interessen von älteren und jüngeren (potentiellen) Arbeitnehmern überhaupt gegeneinander abzuwägen sind.

Insgesamt fehlt es meines Erachtens somit nicht nur an einer vollständigen Abwägung der wechselseitigen Interessen – auch des Arbeitgebers! – sondern schlicht auch an einer Rechtsgrundlage für eine Vertragsbeendigung via Betriebsvereinbarung mit Erreichen der Altersgrenze.

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