BAG, Urteil vom 29. August 2012, 10 AZR 499/11

Diese Entscheidung ist insbesondere für Nonprofit-Organisationen, kirchliche Einrichtungen, Kommunen etc. von großer Bedeutung: Vorliegend hatte eine Frau ehrenamtlich im Seelsorgedienst bei dem Träger der örtlichen Telefonseelsorge gearbeitet. Die Telefonseelsorge wird in Deutschland von der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche getragen. Diese kirchlichen Träger unterhalten insgesamt über 100 selbstständige Telefonseelsorgestellen mit ca. 7.500 ehrenamtlichen und etwa 350 hauptamtlichen Mitarbeitern. Voraussetzung für die Tätigkeit ist eine Ausbildung, für die es eine Rahmenordnung gibt. Für die Ausübung der Telefonseelsorge gibt es eine Dienstordnung, in der festgehalten ist, dass eine regelmäßige Beteiligung am Seelsorgedienst erwartet werde. Die Frau erhielt einen Kostenersatz in Höhe von € 30,00 monatlich. Im Jahr 2010 wurde sie vom Träger der Telefonseelsorge von ihrem Dienst mit sofortiger Wirkung entbunden. Die Frau hat beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben und die Auffassung vertreten, sie sei Arbeitnehmerin.

Alle drei Instanzen haben die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass die ehrenamtliche Tätigkeit kein Arbeitsverhältnis begründe.

Das BAG weist hier darauf hin, dass eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht beispielsweise die Vereinbarung oder berechtigte Erwartung hinsichtlich einer angemessenen Vergütung. Zwar sei, so das BAG, eine Erwerbsabsicht des Arbeitnehmers keine notwendige Bedingung für eine Arbeitnehmereigenschaft, das Fehlen einer Erwerbsabsicht einerseits und einer Vergütungszahlung andererseits sei jedoch ein wichtiges Argument gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses.

Ein Arbeitsverhältnis scheitere umgekehrt nicht daran, dass neben materiellen Interessen auf Arbeitnehmerseite auch immaterielle, altruistische Motive vorliegen können.

Fehlen jedoch jegliche materiellen Interessen, Vereinbarungen bzw. Zusagen, spreche dies in der Regel dafür, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt.

Bei – wie vorliegend – ehrenamtlichen Tätigkeiten handele es sich rechtlich um ein Auftragsverhältnis. Aufträge könnten auch die Erbringung von unentgeltlichen Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Eine echte ehrenamtliche Tätigkeit sei jedoch nicht als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren.

Anmerkung:

Vorliegend hat es sich eindeutig um eine ehrenamtliche Tätigkeit gehandelt, die es dem Träger der Telefonseelsorge auch erlaubt hat, das soweit bestehende (unentgeltliche) Auftragsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist sofort zu beenden.

Es gibt allerdings Grenzfälle, in denen der Übergang von einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu einem Arbeitsverhältnis möglicherweise fließend sein kann.

Dies ist etwa dann der Fall, wenn für die ehrenamtliche Tätigkeit eine „Aufwandsentschädigung“ oder ähnliche finanzielle oder sonstige geldwerte Leistungen erbracht werden, die in Art und Höhe mit Vergütungen verglichen werden können, die für die vergleichbare Tätigkeit auch an Arbeitnehmer gezahlt werden. Hier kommt es nicht auf die Bezeichnung als „ehrenamtliche Tätigkeit“, sondern auf das Gesamtbild an. Die Höhe der Aufwandsentschädigung kann hier durchaus für eine Erwerbsabsicht und damit für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen.

In ähnlicher Weise müsste wohl auch eine Abgrenzung bei mitarbeitenden Familienangehörigen erfolgen. Bei diesen empfiehlt es sich aber in der Regel, die Mitarbeit ausdrücklich als Arbeitsverhältnis zu bezeichnen, abzurechnen und vor allem auch zu versichern!

Comments are closed.