BAG, Urteil vom 22. Mai 2012, 9 AZR 575/10

Nach den jüngeren Entscheidungen des EuGH zu Übertragungszeiten von Urlaub bei länger andauernder Arbeitsunfähigkeit gibt es auch anderweitig noch Auslegungsprobleme:

Der Arbeitgeber ist zwar hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs an die Vorgaben des EuGH gebunden, darf also auch im Arbeitsvertrag nicht festlegen, dass der Urlaub vor Ablauf von 15 Monaten nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verfällt.

Zulässig ist allerdings eine Differenzierung zwischen gesetzlichem Urlaub und darüber hinaus zusätzlich gewährtem Urlaub. Bei dem zusätzlichen, über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus gewährten Urlaub kann der Arbeitgeber kürzere Verfallsfristen festsetzen. Das gleiche gilt beispielsweise auch für Urlaubsregelungen in Tarifverträgen. Auch hier können kürzere Verfallsfristen vorgesehen werden.

Allerdings ist fraglich, inwieweit zwischen dem gesetzlichen Urlaub einerseits und dem darüber hinaus gewährten Zusatzurlaub andererseits differenziert werden muss. Findet sich im Arbeitsvertrag keinerlei Differenzierung, richten sich die Verfallsfristen auch für den Zusatzurlaub nach den Vorgaben für den gesetzlichen Urlaub. So die bisherige Rechtsprechung und wohl überwiegende Meinung in der arbeitsrechtlichen Literatur. Aus der hier besprochenen Entscheidung des BAG könnte sich aber zugunsten der Arbeitgeber eine etwas günstigere Betrachtung ergeben:

Der 9. Senat hatte sich hier mit der Auslegung des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) befasst. Dort wird nicht ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen und durch die EU verbürgten Mindesturlaub von vier Wochen einerseits und dem tariflichen Zusatzurlaub andererseits differenziert. Trotzdem hat das BAG die wesentlich kürzere Verfallsfrist für den Zusatzurlaub nach dem Tarifvertrag bestätigt. Dies hatte folgenden Hintergrund: Im Tarifvertrag fand aus Sicht der BAG-Richter eine ausreichend deutliche Lösung von der gesetzlichen Regelung zur Übertragungs-/Verfallsfrist statt, indem die Übertragung und der Verfall des Urlaubsanspruchs eigenständig geregelt worden waren. Eine solche Möglichkeit müsste auch für den einzelnen privaten Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrages bestehen. Wird dort also eine eigenständige Verfallsregelung getroffen (und nicht nur auf die gesetzliche Regelung verwiesen), kommt es u.U. nicht zu einem Gleichlauf des gesetzlichen Mindesturlaubs und des darüber hinaus gewährten Zusatzurlaubs hinsichtlich der Verfallsfristen. Für den Zusatzurlaub können dann kürzere Verfallsfristen als 15 Monate wirksam werden.

Praxistipp:

Für die Vertragsgestaltung gilt aber nach wie vor der Grundsatz der Risikovermeidung oder  -minimierung. Daher sollte bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen nach wie vor ausreichend deutlich zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub mit 15-monatiger Übertragungsfrist und einem darüber hinaus gegebenenfalls gewährten Zusatzurlaub mit kürzerer Verfallsfrist (z.B. drei Monate) oder sogar ohne Übertragungsfrist unterschieden werden. Im letzteren Fall muss dann der Urlaub während des Urlaubsjahres genommen werden.

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