BAG, Urteil vom 08. Dezember 2011, 6 AZR 354/10

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte steht die Beurteilung von Kündigungsgründen oft an erster Stelle des Interesses. In der Praxis ergibt sich aber teilweise ein anderes Bild: Mindestens genauso häufig, wie eine Kündigung an fehlenden Kündigungsgründen scheitert, ergeben sich Probleme mit dem (rechtzeitigen!) Zugang von Kündigungen. Im vorliegenden Fall kamen gleich mehrere Zugangsprobleme zusammen:

Der Ausbildungsvertrag mit einem minderjährigen Azubi enthielt eine dreimonatige Probezeit, die am 31. Oktober ablief. An diesem letzten Tag der Probezeit hatte der Arbeitgeber durch das Schreiben eines leitenden Mitarbeiters gekündigt. Die Kündigung war adressiert an den Auszubildenden, vertreten durch die Eltern, und wurde durch Boten noch am gleichen Tag in den Hausbriefkasten der Eltern eingeworfen. Diese waren aber am fraglichen Tag verreist. Am 02. November fand der Auszubildende das Kündigungsschreiben und verständigte seine Mutter telefonisch von der Kündigung, die diese erst bei ihrer Rückkehr am 03. oder 04. November tatsächlich lesen konnte. Mit einem Schreiben, das beim Ausbildungsbetrieb erst am 13. November einging, hatte der Auszubildende dann die Kündigung gemäß § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen, weil der Kündigung keine Original-Vollmachtsurkunde für den leitenden Angestellten beigefügt war, der die Kündigung unterschrieben hatte.

Der Auszubildende vertrat die Auffassung, die Kündigung sei innerhalb der Probezeit nicht wirksam zugegangen, weshalb das Ausbildungsverhältnis nun ungekündigt weiterbestehe (und nach Ablauf der Probezeit nicht mehr wirksam ordentlich gekündigt werden könne).

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben unterschiedliche Entscheidungen getroffen.

Das BAG hat die hier aufgeworfenen Zustellungsfragen grundsätzlich geprüft und folgendes entschieden:

  • „Zunächst ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Kündigung rechtzeitig – in diesem Fall innerhalb der Probezeit bis spätestens 31. Oktober – zuzustellen.
  • Ist eine Kündigung gegenüber einem Minderjährigen (Auszubildenden oder Arbeitnehmer) auszusprechen, wird diese gemäß § 131 Abs. 2 BGB erst dann wirksam, wenn sie seinem gesetzlichen Vertreter zugeht.
  • Ist eine Kündigung vom Arbeitgeber/Ausbilder mit dem erkennbaren Willen abgegeben worden, dass sie den gesetzlichen Vertreter erreicht, und gelangt sie tatsächlich rechtzeitig in dessen „Herrschaftsbereich“, ist der Zugang bewirkt. Dazu reicht es aus, dass das Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten eingeworfen wird. Eine vorübergehende Abwesenheit des Empfängers, beispielsweise durch Urlaub, schadet insoweit nicht. Wichtig ist allerdings, dass ein Einwurf einer Kündigung am letzten Tag der Frist dann für den Kündigenden riskant ist, wenn der Einwurf zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Briefkasten üblicherweise bereits geleert worden ist, weil die reguläre Briefpost früher zugestellt worden ist. So reicht es in der Regel beispielsweise nicht aus, wenn das Kündigungsschreiben kurz vor Mitternacht des letzten Fristtages einfach in den Briefkasten eingeworfen wird. Hier ist dann nicht mehr damit zu rechnen, dass der Empfänger – kurz vor Mitternacht – nochmals nachschaut, ob er einen Brief erhalten hat. In einem solchen Fall ist es wichtig, den Brief möglichst persönlich zu übergeben oder durch Klingeln bzw. telefonisch den Empfänger auf den Briefeinwurf hinzuweisen.
  • Bei der Frage, wer zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt ist, ist zu differenzieren: Grundsätzlich berechtigt sind Geschäftsführer, Inhaber und Prokuristen. Darüber hinaus sollte der Arbeitgeber aber im Zweifelsfall jedem Kündigungsschreiben eine Originalvollmacht für diejenige Person beifügen, die die Kündigung unterzeichnet. Der Arbeitgeber ist dafür beweispflichtig, dass nicht nur die Kündigung, sondern auch die Originalvollmacht (keine Kopie! kein Fax!) rechtzeitig vor Fristablauf den Empfänger erreicht. Im Zweifelsfall sollte zur Vermeidung von späteren Problemen auch bei Personalleitern, Betriebsleitern o. ä. eine Originalvollmacht beigefügt werden, auch wenn diese möglicherweise den Ausbildungs-/Arbeitsvertrag unterzeichnet haben.
  • Ist die Kündigung von einer Person unterzeichnet worden, die weder Geschäftsführer, Inhaber noch Prokurist ist, und war auch keine Originalvollmacht für den Unterzeichner beigefügt, kann die Kündigung (§ 174 BGB) unwirksam werden, wenn der Empfänger die Kündigung aufgrund des fehlenden Vollmachtsnachweises unverzüglich zurückweist. Entscheidende Bedeutung hat hier das Wort „unverzüglich“. Unverzüglich bedeutet im Rechtssinne „ohne schuldhaftes Zögern“. Dies hat das BAG vorliegend nochmals dahingehend konkretisiert, dass die Zurückweisung einer Kündigungserklärung nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne das Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalles nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 174 Satz 1 BGB sei.

Nachdem ein zuständiger Elternteil des Auszubildenden im vorliegenden Fall am 03. oder 04. November Kenntnis von dem Kündigungsschreiben erhalten hatte, hätte die Zurückweisung wegen fehlenden Vollmachtsnachweises spätestens am 11. November den Arbeitgeber erreichen müssen. Das diesbezügliche Schreiben ging aber erst am 13. November ein und es konnten keine besonderen Umstände nachgewiesen werden, die zu einer Verlängerung der Frist geführt hatten.

Damit war die Zurückweisung nicht rechtzeitig mit der Folge, dass die sie ohne Wirkung blieb und die Kündigung letztlich wirksam geworden ist.

Praxistipp:

Auf solch gefährliche Spiele und auf Zufälle, ob der Empfänger rechtzeitig die Kündigung zurückweist, sollte sich der Arbeitgeber nicht verlassen: Sicherheitshalber gilt in jedem Zweifelsfall: Einer Kündigung muss eine Vollmacht beigefügt werden. Dies übrigens auch in den Fällen, in denen ein Geschäftsführer, Vorstand oder Prokurist kündigt, wenn insoweit nur eine Gesamtvertretungsmacht und keine Alleinvertretungsmacht besteht.

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