Pflicht zur Erfassung und Dokumentation der Arbeitszeit

Am 07. Juni 2021, von Michael Eckert

EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019, C/55/18

Diese Entscheidung des EuGH hat in deutschen Betrieben, aber auch in deutschen Arbeitsrechtskanzleien sowie bei der Politik für erhebliche Aufregung gesorgt. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände hat gerügt, auf die Anforderungen der digitalen „Arbeitswelt 4.0“ könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung aus der „Arbeitswelt 1.0“ reagieren. Um diese Aufregung etwas zu relativieren möchte ich hier zunächst die wichtigsten Inhalte und die sich daraus für die deutsche Arbeitswelt aktuell (!) ergebenden Auswirkungen beleuchten:

  • Zunächst einmal:

Die Entscheidung richtet sich aktuell nicht an die Wirtschaft und die Arbeitsvertragsparteien. Angesprochen ist vielmehr der deutsche Gesetzgeber, der prüfen muss, ob beispielsweise das Arbeitszeitgesetz den europäischen Vorgaben entspricht. Diese hat der EuGH mit der aktuellen Entscheidung konkretisiert.

  • Zur Zeit sind daher keine betrieblichen Umstellungen erforderlich, wenn die bisherige Zeiterfassung dem deutschen Arbeitszeitgesetz entsprach.
  • Bereits bisher ist es erforderlich, Arbeitszeiten zu erfassen und zu dokumentieren. Allerdings betrifft diese Pflicht aktuell nur Arbeitszeiten, die über die acht Stunden täglich hinausgehen. Wer täglich acht Stunden oder weniger arbeitet, ist zumindest aktuell gesetzlich nicht verpflichtet, die Arbeitszeit zu erfassen. In diesen Grenzen ist auch eine Vertrauensarbeitszeit ohne weiteres zulässig.
  • Auch weiterhin ist es zulässig, die Arbeitszeit flexibel und unregelmäßig über die Wochentage zu verteilen oder im Rahmen flexibler Arbeitszeit auf schwankende Auslastungen zu reagieren.
  • Schon bisher war es zulässig, dass die Arbeitszeiterfassung durch Arbeitnehmer selbst erfolgt. Es gibt keine Vorgaben, wie dies zu geschehen hat. Auch eine händische Aufzeichnung ist zulässig.
  • Hintergrund für die Entscheidung des EuGH ist die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Dort finden sich beispielsweise Regelungen zu Ruhens- und Pausenzeiträumen. Es findet sich aber auch die Anforderung an die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen, damit „nach Maßgabe der Erfordernissen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer“ die jeweiligen Schutzvorschriften auch eingehalten werden (Kontrollpflicht).

Hier ist es nun vom deutschen Gesetzgeber zu prüfen, ob überhaupt Änderungen notwendig sind und welche dies sind.

Gerade angesichts der weit verbreiteten Vertrauensarbeitszeit wird es wohl nicht zur zwingenden Einführung von Stechuhren o.ä. kommen.

Denkbar ist aber die Einführung einer Verpflichtung, nicht nur diejenigen Arbeitszeiten, die über acht Stunden hinausgehen zu dokumentieren, sondern die gesamte Arbeitszeit. Damit könnte der Versuch unternommen werden, auch über einen längeren Zeitraum festzustellen, ob die gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben eingehalten werden.

  • Ganz unabhängig von der Entscheidung des EuGH besteht schon länger in der Wirtschaft
    Einigkeit, dass das Arbeitszeitgesetz überholt ist und dringend reformiert werden muss.

Reformbedürftig ist beispielsweise die zwingend vorbeschriebene Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei „Einsätzen“. Diese Regelung verhindert eine flexible Arbeitszeitgestaltung und insbesondere auch in vielen Fällen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ist auch aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht erforderlich, verhindert jedoch die Aufteilung eines Arbeitspensums über mehrere Einsätze an einem Tag.

Die gleiche Regelung ist auch problematisch, wenn es um Bereitschaftsdienste, Telefonbereitschaften o.ä. geht. Warum soll ein Arbeitnehmer, der abends beispielsweise von Zuhause aus um 21.30 Uhr noch eine halbe Stunde eine Kundenproblematik beseitigt, nicht am nächsten Tag wieder um 08.00 Uhr arbeiten können. Warum soll ein Arbeitnehmer sich nicht entscheiden können, den Nachmittag mit den Kindern zu verbringen, diese abends ins Bett zu bringen, um dann den Rest seines Arbeitspensiums zwischen 21.00 und 23.00 Uhr zu erledigen? Nach aktueller Regelung dürfte er dann am nächsten Tag nicht vor 10.00 Uhr wieder arbeiten.

Auch die Festlegung einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von acht Stunden und die gesetzlichen Ausgleichszeiträume des Arbeitszeitgesetzes sind ein zu enges Korsett für eine auch im Arbeitnehmerinteresse flexibilisierte Arbeitsleistung. Das gleiche gilt für die maximal tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden. Aktuell ist hier keinerlei Differenzierung möglich. Richtig ist zwar, dass niemand täglich mehr als zehn Stunden schwere körperliche Arbeit erbringen kann, ohne auf Dauer gesundheitliche Schäden befürchten zu müssen. Wenn aber die Arbeitsleistung aus weniger anstrengender Tätigkeit oder möglicherweise aus Bereitschaftsdiensten besteht, sind Arbeitsschichten über zehn Stunden nicht ausgeschlossen.

  • Die Politik sollte also den Mut haben, das Arbeitszeitgesetz an aktuelle Anforderungen anzupassen. Im Zuge dessen kann dann auch geprüft werden, ob die Entscheidung des EuGH ebenfalls Reformen notwendig macht. Dies scheint allenfalls am Rande erforderlich zu sein.
  • Die Arbeitgeber können also aktuell die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs noch gelassen zur Kenntnis nehmen und abwarten, bis der deutsche Gesetzgeber reagiert. Bei der derzeitigen Entscheidungsfreude im Arbeitsrecht kann dies noch einige Zeit dauern.
 

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