Bereitschaftszeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit?

Am 20. Mai 2020, von Michael Eckert

LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. August 2018, 26 Sa 1151/17

 

Zwischen einem Taxifahrer und seinem Arbeitgeber gab es Meinungsverschiedenheiten über die Bezahlung sog. Standzeiten, die beispielsweise an Taxiständen oder sonstigen Warteplätzen anfallen, wo also Taxifahrer kein „Geld verdienen“, sondern auf Fahrgäste warten.

Der Arbeitnehmer sah die Wartezeit als vergütungspflichtige Bereitschaftszeit an, der Arbeitgeber war der Auffassung, hier handele es sich um nicht vergütungspflichtige Pausen. Er wollte nur die vom Zeiterfassungssystem im Taxi registrierten Arbeitszeiten vergüten. Für Standzeiten hatte er sich hier ein besonderes System ausgedacht: Um auch Wartezeiten als Arbeitszeit zu erfassen, sollte der Arbeitnehmer alle drei Minuten eine Taste drücken, quasi um zu zeigen, dass er sich nach wie vor in Wartebereitschaft befindet. Hieran wurde durch ein akustisches und optisches Signal erinnert. Wurde die Taste nicht gedrückt, hat das System die darauf folgende Standzeit nicht als Arbeitszeit, sondern als unbezahlte Pausenzeit erfasst.

Der Taxifahrer wollte trotzdem seinen Anspruch auf Mindestlohn auch für diese Zeiten durchsetzen. Das Drücken der Signaltaste alle drei Minuten sei für ihn unzumutbar und auch nicht immer möglich.

Das Landesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Taxifahrer im vorliegenden Fall Anspruch auf den Mindestlohn auch während der gesamten Standzeiten hatte. Es sei ihm insbesondere nicht zuzumuten, ständig die Signaltaste zu drücken. Eine solche sich alle drei Minuten wiederholende Verpflichtung sei unverhältnismäßig.

Vorliegend handelt es sich ersichtlich um eine Einzelfallentscheidung. Nicht berücksichtigt wurde das Problem des Arbeitgebers, wie er belegen sollte, dass der Arbeitnehmer tatsächlich, statt aktiv auf Fahrgäste zu warten, eine Pause gemacht hat. Der Arbeitgeber kann später anhand der Aufzeichnungen nur erkennen, dass das Taxi für eine bestimmte Zeit gestanden hat. Ob der Fahrer in dieser Zeit auf Fahrgäste gewartet hat und nur keine Fahrgäste kamen oder ob der Fahrer im Café um die Ecke war, um Pause zu machen, mit Kollegen zu erzählen o.ä. ist für den Arbeitgeber nicht ersichtlich und er kann den Arbeitnehmer auch nicht, wie beispielsweise bei einer Tätigkeit in einem Betrieb, überwachen (lassen). Offen ist insoweit, wie zu entscheiden wäre, wenn die Taste z.B. nur alle zehn Minuten zu drücken gewesen wäre.

Anmerkung 1:

Viele Taxis sind heute mit einem Sicherheitssystem, u.a. bestehend aus einer Kamera mit Funkübertragung ausgerüstet. Diese Kamera nimmt das Geschehen im Taxi auf und überträgt es beispielsweise in die Zentrale, um im Fall von Straftaten Beweise zu sichern. Unklar ist, inwieweit der Arbeitgeber hier gesetzlich berechtigt ist, eine solche Aufzeichnung auch für die Erfassung der Arbeits- und Pausenzeiten auszuwerten. Dies müsste schriftlich ausdrücklich vereinbart werden.

Anmerkung 2:

Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat in seinen Schlussanträgen zum Fall C 55/18 am 31. Januar 2019 erklärt, dass europäisches Recht die Arbeitgeber zu einer umfassenden Erfassung der Arbeitszeit verpflichtet. Die deutschen Regelungen sehen bisher nur teilweise Zeiterfassungen vor, beispielsweise etwa dann, wenn die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von acht Stunden überschritten wird. Ferner gibt es eine Aufzeichnungsverpflichtung nach dem Mindestlohngesetz für Minijobber außerhalb von Privathaushalten und, für bestimmte Branchen, auch allgemein nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz.

Sollte europäisches Recht eine vollständige Dokumentation vorschreiben, hätte dies gravierende Auswirkungen. So wäre beispielsweise die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit kaum noch möglich insoweit müssten umfassende Arbeitszeiterfassungssysteme beispielsweise auch für den Außendienst o.ä. eingeführt und jede Mehr- oder Minusstunde müsste dokumentiert und aufbewahrt werden.

Mit Spannung wird nunmehr die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erwartet, die zwar einen spanischen Fall betrifft, aber ggf. auch Auswirkungen auf die Arbeitszeiterfassung in Deutschland haben wird.

 

 

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