LArbG Niedersachsen, Urteil vom 20. Juli 2017, Az: 6 Sa 1125/16

Die vorliegende Entscheidung betrifft befristete Arbeitsverhältnisse ohne Befristungsgrund. Hier sieht § 14 Abs. 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vor, dass der Abschluss eines solchen befristeten Vertrages ohne Befristungsgrund nur zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer zuvor noch nie beim Arbeitgeber beschäftigt war. Es handelt sich also um ein sogenanntes zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot.

Ein solches unbegrenztes Verbot ist völlig unsinnig. Dies ist seit Einführung der entsprechenden Regelung wiederholt kritisiert worden. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer haben einen Vorteil davon, dass möglicherweise weit zurückliegende Beschäftigungsverhältnisse dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages im Wege stehen, auch wenn zwischen beiden Beschäftigungsverhältnissen überhaupt keine Verbindung besteht.

Verschiedenen Aufforderungen an den Gesetzgeber, hier eine Änderung herbeizuführen, ist dieser nie gefolgt. Sinnvoll wäre es beispielsweise gewesen, hier eine bestimmte Karenzzeit einzufügen, das heißt vorzusehen, dass innerhalb einer bestimmten Frist vor Beginn des grundlos befristeten Arbeitsverhältnisses kein anderes Arbeitsverhältnis bestanden haben darf, um Missbrauch beispielsweise durch Kettenbefristungen zu vermeiden.

Der Gesetzgeber ist diesen sinnvollen Aufforderungen nie nachgekommen.

Im Jahr 2011 hat dann das Bundesarbeitsgericht durch den 7. Senat ein mit großem Interesse und in der Wirtschaft mit großer Erleichterung aufgenommenes Urteil gefällt. Die zentrale Aussage dieser Entscheidung war, dass das Teilzeit- und Befristungsgesetz nicht, wie bis dahin angenommen, ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot enthalte, sondern vielmehr nur eine Karenzzeit von drei Jahren einzuhalten sei.

So groß die Erleichterung in der Wirtschaft über diese handhabbare Entscheidung war, so groß war doch das Misstrauen bei Arbeitsrechtlern: Zum einen bot der Gesetzestext keinerlei Anhaltspunkt für die vom BAG angenommene Dreijahresfrist. Die im Urteil zu findende Begründung war allenfalls vom Ergebnis her nachvollziehbar, da sie wünschenswert war. Darüber hinaus wurde aber auch übersehen, dass letztlich die Rechtsprechung sich auch im Arbeitsrecht nicht zum Ersatzgesetzgeber machen darf: Soweit der Gesetzestext auch bei großzügiger Auslegung noch Anhaltspunkte für eine bestimmte Weiterbildung des Rechts bietet, nimmt gerade die Arbeitsgerichtsbarkeit dies sehr großzügig wahr, um Recht fortzubilden und auch neues Recht zu schaffen. Fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt im Gesetzestext oder auch in den Gesetzesmotiven, läuft die Schaffung neuen Rechts durch die Gerichte – auch durch das BAG – auf eine Aufhebung der Gewaltenteilung hinaus und ist damit unzulässig. Dies gilt leider auch dann, wenn die Entscheidung in der Sache wünschenswert und völlig richtig ist.

Diesen Bedenken an der Entscheidung des 7. Senats aus dem Jahr 2011 hat sich nunmehr auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen angeschlossen, das einerseits die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2011 für falsch hält, andererseits aber auch die Auffassung vertritt, dass Arbeitgeber hierauf nicht hätten vertrauen dürfen und insoweit kein Vertrauensschutz für einen Arbeitgeber gewährt, der im Vertrauen auf die Rechtsprechung des BAG einen Arbeitnehmer eingestellt hatte, der schon einmal beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt war, wenn auch nicht innerhalb von drei Jahren vor Beginn des sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses.

Da die vorliegende Entscheidung im klaren Widerspruch zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2011 steht, ist es nachvollziehbar, dass im vorliegenden Fall Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt worden ist (Az: 7 AZR 477/17). Hierüber ist noch nicht entschieden worden. Die Entscheidung des BAG ist daher mit großer Spannung abzuwarten.

Praxistipp:

Auch wenn die vorliegende Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist es besonders wichtig, hierüber bereits jetzt zu berichten.

Es ist nämlich durchaus denkbar, dass sich das Bundesarbeitsgericht den dogmatischen Bedenken des Landesarbeitsgerichts an der Entscheidung aus dem Jahr 2011 anschließt. In diesem Fall wären befristete Arbeitsverhältnisse, die im Vertrauen auf die Wirksamkeit der BAG-Entscheidung aus 2011 abgeschlossen worden sind, hinsichtlich der Befristung unwirksam. Aus befristeten Arbeitsverhältnissen würden somit „über Nacht“ unbefristete Arbeitsverhältnisse. Hier liegt also für die Arbeitgeber, die auf die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2011 vertrauen, ein ganz erhebliches Risiko. Sie müssen bereits jetzt, wenn sie möglicherweise den Abschluss eines solchen befristeten Arbeitsvertrages erwägen, mit einem späteren Wegfall der Befristung rechnen. Eine Bestätigung des Urteils des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen würde nämlich nicht nur zu einer Änderung der Rechtslage führen, sondern auch dazu, dass das Vertrauen in die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2011 nicht geschützt würde.

Im Ergebnis ist es außerordentlich bedauerlich, dass der Gesetzgeber hier noch nicht selbst gehandelt hat, sondern Arbeitgeber – und auch Arbeitnehmer – im Stich lässt: Arbeitgeber können aufgrund des geschilderten Risikos nicht auf die Wirksamkeit des Urteils des BAG aus dem Jahr 2011 vertrauen. Arbeitnehmer erhalten möglicherweise nicht die Chance einer Beschäftigung im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages, nur weil sie möglicherweise vor vielen Jahren schon einmal beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt waren. Dies ist nicht praktizierter Arbeitnehmerschutz, sondern Arbeitsplatzverhinderungspolitik.

Solange der Gesetzgeber hier nicht klärend eingegriffen hat, kann man den Unternehmen nur raten, die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2011 nicht anzuwenden und nur Personen sachgrundlos einzustellen, mit denen tatsächlich noch niemals ein Arbeitsvertrag bestanden hat.

Dies führt dann beispielsweise in einem Fall aus der Beratungspraxis dazu, dass ein 57jähriger Bewerber deshalb keine neue berufliche Chance durch einen zweijährigen sachgrundlos befristeten Vertrag erhält, weil er mit 16 Jahren einmal im Rahmen eines Schülerjobs in den großen Ferien beim gleichen Unternehmen Rasen gemäht hat.

 

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