EuGH, Urteile vom 14. März 2017 – Az: C-157/15 und C-118/15

Die beiden aktuellen „Kopftuchentscheidungen“ des EuGH haben erhebliche Wellen geschlagen und sollen daher hier etwas genauer betrachtet werden, insbesondere die Auswirkungen für deutsche Unternehmen.

Im Kern ging es in beiden Fällen um Arbeitgeberkündigungen gegenüber Arbeitnehmerinnen, die während der Arbeitszeit ein Kopftuch tragen wollten und deshalb ihren Arbeitsplatz verloren hatten. In einem Fall aus Frankreich hatte nur ein Kunde sich über das Kopftuch einer Software-Ingenieurin beschwert, das diese anlässlich einer Besprechung getragen hatte. In dem Fall aus Belgien war eine Mitarbeiterin bereits seit drei Jahren in einem Sicherheitsunternehmen angestellt und hatte Rezeptionsdienste bei einem Kundenunternehmen ausgeführt, dem es besonders auf politische, religiöse und philosophische Neutralität ankam. Der Arbeitgeber hatte auch bereits vor der Kündigung eine allgemeine Regelung erlassen, wonach das sichtbare Tragen von Zeichen für eine politische, philosophische oder religöse Überzeugung während der Arbeitszeit verboten war. Erst nach dreijähriger Beschäftigung hatte die Arbeitnehmerin erklärt, sie werde in Zukunft mit Kopftuch arbeiten.

Der Fall aus Frankreich war hinsichtlich des Sachverhaltes noch nicht abschließend geklärt. Hier hat allerdings der EuGH festgehalten, dass allein der Wille des Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, nicht ausreicht, um einer islamischen Mitarbeiterin das Tragen des Kopftuches während der Arbeitszeit zu verbieten, da dieser Kundenwunsch nicht als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des EU-Rechts anzusehen ist. Dieses Urteil war daher auch im Ergebnis nicht überraschend.

Wesentlich dezidierter und spannender ist das Urteil in dem Fall aus Belgien.

Hier hat der EuGH klargestellt, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, grundsätzlich rechtmäßig sei und dies sei insbesondere dann der Fall, wenn nur diejenigen Arbeitnehmer/-innen betroffen sind, die mit Kunden in Kontakt treten. Der entsprechende Wunsch des Arbeitgebers nach Neutralität in den Bereichen Politik, Religion und Philosophie gehört nach Auffassung des EuGH zu den Grundsätzen der unternehmerischen Freiheit.

Die Maßnahmen, die der Arbeitgeber dann trifft, um diese Neutralität zu gewährleisten, sind jedoch besonders zu prüfen, insbesondere hinsichtlich ihrer Geeignetheit und Erforderlichkeit.

Das Verbot, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen während der Arbeitszeit sichtbar zu tragen, ist nach Auffassung des EuGH zur Erreichung des Ziels der gewünschten Neutralität geeignet und kann auch bei Weigerung beispielsweise einer Mitarbeiterin, ohne Kopftuch zu arbeiten, eine Kündigung grundsätzlich rechtfertigen.

Voraussetzung ist hier aber, dass es sich tatsächlich um eine allgemeine Unternehmenspolitik handelt, die auch tatsächlich verfolgt wird. Der Arbeitgeber darf also nicht aus konkretem Anlass eine Einzelfallregelung erlassen haben.

Anschließend ist dann zu prüfen, ob eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung auch erforderlich war, um das Unternehmensziel zu erreichen.

Hier ist zunächst zu prüfen, ob die Mitarbeiterin Sichtkontakt mit Kunden hat. Eine Kündigung kann nämlich, was der EuGH betont, nur ein letztes Mittel sein, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht zum Erfolg führen.

Insoweit ist vom Arbeitgeber zu prüfen, ob auch eine Versetzung der Mitarbeiterin in einen Bereich in Betracht kommt, in dem kein Sichtkontakt zu Kunden besteht. Ist eine solche Versetzung oder notfalls auch Änderungskündigung möglich, scheidet eine Beendigungskündigung aus.

Erweist sich eine Kündigung nach einer solchen Prüfung als geeignet und erforderlich, um das zulässige Unternehmensziel einer politischen oder religiösen Neutralität zu gewährleisten, ist eine darauf beruhende Kündigung wirksam.

Insoweit kann eine generelle Verpflichtung aller Mitarbeiter zu politischer und/oder religiöser Neutralität eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion darstellen und trotzdem sachlich gerechtfertigt sein, um den Wunsch des Arbeitgebers nach Neutralität umzusetzen.

Praxistipp:

Die Rechtsprechung zu sogenannten Kopftuchverboten oder ähnlichem ist in Deutschland bisher uneinheitlich und hat zu Rechtsunsicherheit geführt. Hinzu kommt die allgemeine politische Diskussion, die von einem Kopftuchverbot für Staatsbedienstete bis zu einem allgemeinen Burkaverbot in der Öffentlichkeit reicht. Hier muss die allgemeine politische Diskussion von der arbeitsrechtlichen Situation deutlich getrennt werden.

Erfreulich ist an den beiden Entscheidungen, dass nunmehr relativ klare Vorgaben bestehen, die auch sinnvoll in die betriebliche Praxis übernommen werden können.

Hierzu ist ein Entscheidungsbaum aufzubauen, um am Ende festzustellen, ob das Verbot bestimmter religiöser Kennzeichen zulässig oder unzulässig ist.

Grundsätzlich verboten ist zunächst ein isoliertes Kopftuchverbot, da eine solche Regelung eine klare direkte Diskriminierung der islamischen Religion darstellen würde. Hier ist zu beachten, dass beispielsweise männliche Sikhs durch ihre Religion gehalten sind, einen Turban zu tragen, und manche jüdische Männer eine Kippa aufsetzen. Insoweit darf also nicht die eine Religionsausübung erlaubt und die andere verboten werden.

Weiter ist zu prüfen, ob es Anforderungen gibt, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen der Berufsausübung vorgegeben sind. Hier dürfen allerdings nur objektive Kriterien herangezogen werden.

Bekleidungsvorschriften, die beispielsweise auch ein Kopftuch oder andere religiöse Kopfbedeckungen zulässigerweise verbieten können, sind etwa denkbar aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Hygiene oder aus sonstigen objektiven Gründen. So muss in manchen Berufen zwingend ein Schutzhelm getragen werden. In Reinsträumen wie beispielsweise in einem Operationssaal herrschen ebenso klare Bekleidungsvorschriften. Hier geht der Arbeitsschutz vor.

Das Tragen religiöser Symbole kann allgemein auch eingeschränkt werden, wenn es sich um einen religiösen Tendenzbetrieb handelt, beispielsweise ein katholisches Krankenhaus, einen evangelischen Kindergarten o. ä. Für solche Tendenzbetriebe gelten Sondervorschriften.

Nach den neuen Entscheidungen des EuGH ist auch eine Entscheidung des Unternehmens anzuerkennen, das sich zur Aufgabe gemacht hat, durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neutral nach außen aufzutreten und das deshalb generell das Tragen von sichtbaren religiösen, politischen, philosophischen o. ä. Zeichen während der Arbeitszeit verbietet. Hier muss es sich aber um Regelungen handeln, die alle Religionen/politischen Richtungen betreffen, die auch tatsächlich allgemein und nicht nur im Einzelfall angewendet und in der Praxis auch „gelebt“ werden.

Handelt es sich dann noch um Mitarbeiter, die für Kunden „sichtbar“ sind, ist ein solches Verbot unter anderem religiöser Bekleidung zumindest geeignet, um die gewünschte und auch schützenswerte Neutralität zu erreichen.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines konkreten Verbotes, beispielsweise ein Kopftuch zu tragen, ist dann noch die Frage, ob dies auch zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Da es hier um die Abwägung von Grundrechten geht, ist nur eine solche Maßnahme zulässig, die sich auf das unbedingt Erforderliche beschränkt.

Im Falle beispielsweise eines Kopftuchs ist zu klären, ob sich das Verbot des sichtbaren Tragens jedes Zeichens oder Kleidungsstücks, das mit einem religiösen Glauben oder einer politischen oder philosophischen Überzeugung in Verbindung gebracht werden kann, notwendig ist oder ob es andere Möglichkeiten zur Wahrung der Neutralität gibt. In erster Linie kommt hier eine Versetzung oder notfalls auch Änderungskündigung auf einen anderen Arbeitsplatz außerhalb des Sichtbereichs von Kunden in Betracht.

Stehen hier keine freien Arbeitsplätze zur Verfügung oder ist eine solche Versetzung/Änderungskündigung unzumutbar, kann der Arbeitgeber auch eine Beendigungskündigung aussprechen.

Zentrales Entscheidungskriterium ist somit eine allgemeine neutrale Regelung zur Erreichung einer Neutralität unter anderem in religiösen Fragen. Der Wunsch einzelner Vorgesetzter, Kunden, Geschäftspartner o. ä. reicht dagegen für eine Kündigung nicht aus.

Für Unternehmen, die das Tragen religiöser oder politischer Zeichen verbieten wollen, ist es daher besonders wichtig, vor der ersten konkreten Maßnahme (Kündigung, Abmahnung o. ä.) eine wirksame allgemeine Regelung aufzustellen, die den Anforderungen unter anderem des EuGH genügt.

In mitbestimmten Betrieben stellt sich die Frage nach eine Beteiligung des Betriebsrats. Selbstverständlich ist eine solche Beteiligung nicht, da der EuGH in den aktuellen Urteilen auf die unternehmerische Freiheit abgestellt hat. Im Interesse der Akzeptanz ist eine gegebenenfalls auch freiwillig abgeschlossene Betriebsvereinbarung jedoch in jedem Fall sinnvoll.

Die genannten Entscheidungen dürften auch Auswirkungen auf die Gesetzgebungsdiskussion beispielsweise in Baden-Württemberg haben:

Wenn schon Unternehmen die Freiheit haben, sich für eine politische und/oder religiöse Neutralität zu entscheiden, gilt dies natürlich erst recht für staatliche Organe, Gerichte, Behörden etc. Hier dürften also ähnliche Regelungen zulässig sein, wie beispielsweise in Frankreich, wo sämtlichen Staatsbediensteten eine Verhüllung/ein Kopftuch verboten ist. Auch dies dürfte sich dann allerdings auf Arbeitnehmerinnen beziehen, die im öffentlich sichtbaren Bereich tätig sind. Der Staat ist, noch mehr als Privatunternehmen, gehalten, jeden Anschein einer politischen oder religiösen Voreingenommenheit zu vermeiden.

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