LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10. November 2015, Az: 2 Sa 235/15

Im vorliegenden Fall bestand das Arbeitsverhältnis mit dem Beschuldigten seit 1993, und zwar ohne irgendwelche Belastungen. Im Jahr 2015 hatte der Arbeitgeber dann das Arbeitsverhältnis fristlos außerordentlich gekündigt, da der Arbeitnehmer angeblich ein Stück Fleisch im Wert von 80 Cent verzehrt habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Dieser Fall erinnert sehr an eine Reihe von vergleichbaren Fällen mit dem Diebstahl geringwertigster Sachen (Maultaschen, Pfandbon, aufgerissene Tüte Gummibärchen o. ä.).

Der Arbeitnehmer erklärte, es habe sich um eine erforderliche Probenahme gehandelt. Der Fall spielt im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels.

Erst nach Ausspruch der dann beim Arbeitsgericht streitigen Kündigung erfuhr der Arbeitgeber davon, dass der Arbeitnehmer etwa ein Jahr vor Ausspruch der Kündigung eine Mitarbeiterin sexuell belästigt habe. Der Arbeitgeber hat die Kündigung daraufhin auf beide Gründe gestützt.

Das Landesarbeitsgericht hat ihm in beiden Punkten Recht gegeben.

Bei dem Verzehr von Fleisch habe es sich nicht um eine Probenahme gehandelt, obgleich sog. sensorische Proben im Lebensmittelbereich durchaus üblich sein können. Im vorliegenden Fall habe es sich aber um eine Schutzbehauptung gehandelt. Auch das langjährige Arbeitsverhältnis schütze ihn insoweit nicht vor der außerordentlichen fristlosen Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit auch auf die Vorgesetztenstellung abgestellt, die den Arbeitnehmer verpflichtet, Beispiel zu geben.

Die Frage, ob dieses Verhalten eine außerordentliche fristlose oder nur eine ordentliche Kündigung trage, ließ das Gericht offen. Die fristlose Kündigung sei jedenfalls wegen des sexuellen Übergriffs gerechtfertigt. Hier ergab die Beweisaufnahme, dass eine solche Belästigung tatsächlich stattgefunden habe.

Zwar liege, so das LAG, der Vorfall schon über ein Jahr zurück. Da der Arbeitgeber aber erst innerhalb von zwei Wochen vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung hiervon erfahren hatte und es sich um einen schweren Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten gehandelt habe, sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

Anmerkung:

Fälle wie dieser hinterlassen bei einer ersten Lektüre zunächst „Fragezeichen“. Wichtig ist, dass es hier jeweils auf die Wirkung des Einzelfalles ankommt. Verallgemeinern lässt sich allenfalls die Bereitschaft der Rechtsprechung, auch bei Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers zumindest dann, wenn es sich um sehr geringfügige Werte handelt, mit Blick auf langjährig bestehende unbelastete Arbeitsverhältnisse eine Einzelfallprüfung überhaupt zuzulassen. Diese Einzelfallprüfung kann dann zu Gunsten oder zu Lasten des Arbeitnehmers ausfallen. Welche Aspekte dann wirklich konkret ausschlaggebend waren für die konkrete Entscheidung, kann kurzen Urteilszusammenfassungen in der Regel nicht entnommen werden.

 

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