Arbeitszeitrechtliche Bewertung von Fahrzeiten

Am 10. Oktober 2016, von Michael Eckert

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. September 2015 – Az: C-266/14

Die Frage, wie Fahrzeiten von Arbeitnehmern im Bereich des Arbeitszeitrechtes zu bewerten sind, war in den letzten Jahren immer wieder streitig. Diese Frage spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn Beschäftigte beispielsweise zu Kundenterminen, aber auch zu Fortbildung, Niederlassungen etc., fahren.

Im vorliegenden Fall hat der Europäische Gerichtshof einen Fall aus Spanien entschieden, die Entscheidung gilt aber ebenso für Fälle in Deutschland.

Vorauszuschicken ist, dass vorliegend nur die Frage entschieden wurde, wie die Fahrzeiten arbeitszeitrechtlich, also hinsichtlich der zulässigen maximalen täglichen/wöchentlichen Arbeitszeit zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung ist ausdrücklich nicht ergangen zur Frage, welche Fahrzeiten vergütungspflichtig sind. Hier gelten im Wesentlichen nationales Recht und die zwischen den Parteien im Vertrag getroffenen Vereinbarungen.

Sachverhalt:

Ein Unternehmen, das im Wesentlichen Alarmanlagen vertrieben hat, hatte regionale Büros geschlossen. Die Außendienstmitarbeiter, die die Kunden zu Montage und Wartung von solchen Anlagen besucht haben, haben ihre Arbeit dann nicht mehr in den regionalen Büros begonnen, sondern sind von zu Hause aus mit dem Firmenfahrzeug direkt zu Kunden gefahren. Abends sind sie vom letzten Kunden dann wieder nach Hause gefahren. Die Fahrstrecke zum ersten bzw. letzten Kunden des Tages hat der Arbeitgeber nicht als Arbeitszeit bewertet, sondern als Teil der Ruhezeit. Als rechtliche Arbeitszeit wurde nur die Zeit von der Arbeitsaufnahme beim ersten Kunden morgens bis zum Arbeitsende beim letzten Kunden nachmittags gerechnet.

Dieser Handhabung hat der EuGH nunmehr widersprochen. Auch die Fahrzeiten zum ersten Kunden morgens und die Nachhausefahrt vom letzten Kunden nachmittags/abends ist danach Arbeitszeit.

Abgestellt hat der EuGH unter anderem darauf, dass der Arbeitnehmer über diese Zeiten nicht verfügen kann. Er steht hier bereits unter dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Dieser kann ihn auch beispielsweise telefonisch anweisen, einen anderen Arbeitsort anzufahren o. ä. Die Fahrzeit ist notwendiges Mittel, um am Standort des ersten Kunden die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Von diesen wechselnden Einsätzen zu unterscheiden ist die Wegezeit, die ein Arbeitnehmer zwischen Wohnung und einer festen Arbeitsstätte zurücklegt. Diese ist weder arbeitszeitrechtlich (Arbeitsschutz) noch hinsichtlich der Vergütung Arbeitszeit, sondern gehört zur Freizeit (vgl. u. a. BAG, Urteil vom 27. November 2008, 6 AZR 765/07).

Praxistipp:

Die Berücksichtigung dieser An- und Abfahrtszeiten kann in manchen Betrieben dazu führen, dass die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von acht Stunden überschritten wird. In der 5-Tage-Woche ist dies kein Problem, da das Gesetz eine durchschnittliche Arbeitszeit von bis zu 48 Wochenstunden (6 Arbeitstage à 8 Stunden) zulässt. Die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden darf aber auch unter Berücksichtigung dieser Fahrzeiten nicht überschritten werden.

Die Fahrzeiten von einem Kunden zum anderen stellen zumindest dann eine Arbeitszeit dar, wenn der Arbeitgeber die Nutzung eines Fahrzeuges vorschreibt oder diese – zum Beispiel wegen mitzuführender Werkzeuge, Materialien etc. – notwendig ist. Ob solche Fahrten von Kunde zu Kunde möglicherweise arbeitszeitrechtlich dann als Ruhezeit (Pause) gelten können, wenn die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden, ist bislang in Deutschland noch nicht entschieden worden.

Wegen der erheblichen insoweit bestehenden Unklarheiten sollte die Frage, welche Fahrzeiten vergütet werden, auf jeden Fall im Arbeitsvertrag geregelt werden.

 

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