BAG, Urteil vom 20. Juni 2013; 8 AZR 280/12

Der Sachverhalt des vorliegenden Falles ist ungewöhnlich:

Eine Arbeitnehmerin war seit dem 16. November 2009 arbeitsunfähig erkrankt. Anfang Februar 2010 verständigten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmerin dann auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 31. Mai 2010.

Am 26. März 2010, also noch während der Arbeitsunfähigkeit aber kurz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unterrichtete die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber darüber, dass sie gegen einen Vorgesetzten Strafanzeige wegen Beleidung und sexueller Belästigung gestellt habe. Am 30. August 2010 hat die Arbeitnehmerin dann den Arbeitgeber gerichtlich auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen „Mobbings“ verklagt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten diese Klage nicht inhaltlich geprüft, sondern bereits wegen des angeblichen Fehlens formaler Voraussetzungen abgewiesen. Der Arbeitsvertrag enthielt nämlich eine Verfallsklausel, wonach sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder damit im Zusammenhang stehende Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden müssen. Anderenfalls sollten sie verfallen. Diese Frist war bei Erhebung der „Mobbingklage“ am 30. August 2010 jedenfalls längst abgelaufen, da die behauptete Mobbinghandlung vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit geschehen sein müsste, also vor dem 16.11.2009.

Das BAG hat aber festgestellt, dass eine vertragliche Ausschlussklausel nur die von den Parteien für regelungsbedürftig gehaltenen Fälle erfassen soll. Eine Anwendung auf Fälle, die durch gesetzliche Ge- oder Verbote geregelt seien, sei daher, sofern nicht ausdrücklich anders geregelt, in der Regel nicht gewünscht.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Haftung auch des Arbeitgebers für Mobbing (wegen angeblich fehlender Unterstützung und fehlendem Schutz der Arbeitnehmerin gegenüber Mobbing durch einen Kollegen der Klägerin) die bei Klageerhebung noch nicht verjährt war, nicht ausgeschlossen war. Weder die gesetzliche Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes kann dadurch einen Vertrag im Voraus erleichtert werden (§ 202 Abs. 1 BGB) noch kann die Haftung wegen Vorsatzes dem jeweiligen Schuldner im voraus erlassen werden (§ 276 Abs. 3 BGB). Mangels besonderer Anzeichen sei, so das BAG, daher davon auszugehen, dass mit der arbeitsvertraglichen Ausschlussklausel nicht auch Fragen der Vorsatzhaftung geregelt werden sollten.

PRAXISTIPP

Über den aktuellen Fall hinaus gilt für die Praxis nach diesem Urteil folgendes:

Wenn neben allgemeinen im Arbeitsverhältnis oder aus Anlass seiner Beendigung sich ergebenden Ansprüchen auch Ansprüche aus vorsätzlicher Handlung von einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist erfasst werden sollen, wird dies zukünftig – wenn überhaupt – nur durch Individualvereinbarung möglich sein. Die üblichen Regelungen in Arbeitsverträgen, wonach sämtliche Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist geltend zu machen sind, spätestens innerhalb einer bestimmten Frist nach dem Ausscheiden, dürfte zukünftig zumindest in Vorsatzfällen aus den genannten Gesichtspunkten auch für andere Fälle nicht mehr anwendbar sein.

Insbesondere wenn bei Klauseln die als Allgemeine Geschäftsbedingungen für eine Mehrzahl von Fällen vom Arbeitgeber vorformuliert werden, dürfte der Ausschluss bei Vorsatzhaftung leerlaufen und die Haftung trotzdem eingreifen.

Diese neue Rechtsprechung hat für Arbeitgeber aber auch Vorteile. Zukünftig wird es nicht mehr zwingend notwendig sein, Fälle sog. unerlaubter Handlung aus dem Anwendungsbereich von Ausschlussklauseln ausdrücklich auszunehmen. Unerlaubte Handlungen sind insbesondere Diebstähle, Betrugstaten etc. u.a. zu Lasten des Arbeitgebers. Bisher war es notwendig, Ansprüche des Arbeitgebers aus solchen Arbeitnehmertaten sicherheitshalber ausdrücklich vom Verfall auszunehmen.

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