Stand des deutschen Arbeitsrechts

Am 10. Dezember 2012, von Michael Eckert

In dieser Legislaturperiode hat es kaum neue gesetzliche Regelungen im Arbeitsrecht gegeben. Einerseits ist dies natürlich erfreulich, wenn man bedenkt, dass jede Umstellung in den Betrieben oft Probleme und Kosten verursacht.

Andererseits ist aber die Untätigkeit des Gesetzgebers für das deutsche Arbeitsrecht auch schädlich, und zwar gleichermaßen für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer. Dies gilt insbesondere in den Bereichen, in denen ein gesetzestreuer Bürger oder eine Bürgerin, der/die sich an das Gesetz hält, nicht sicher ist, möglicherweise doch folgenschwere Fehler zu begehen. Hierfür lassen sich schnell Beispiele finden:

  • In § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB ist geregelt, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer (und der sich daraus ergebenden längeren Kündigungsfrist bei Kündigung durch den Arbeitgeber) Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt werden dürfen. Wer sich hier auf den Gesetzestext verlässt und die Kündigungsfrist entsprechend berechnet, findet sich schnell als Verlierer vor dem Arbeitsgericht wieder: diese Klausel ist altersdiskriminierend und daher nicht anzuwenden, was Europäischer Gerichtshof und Bundesarbeitsgericht bereits einvernehmlich festgestellt haben. Trotzdem schafft es der deutsche Gesetzgeber nicht, hier eine Anpassung an die tatsächliche Rechtslage zu beschließen.
  •  § 7 Absatz 3 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass eine Übertragung des Erholungsurlaubs aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nur in die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres zulässig ist. Wer sich auf diesen Gesetzestext verlässt geht davon aus, dass der Urlaubsanspruch für das Vorjahr spätestens am 01.04. des folgenden Kalenderjahres verfallen ist. Weit gefehlt: Auch hier haben EuGH und BAG in seltenem Einvernehmen entschieden, dass für Langzeitkranke etwas anders gilt. Inzwischen (siehe unten) hat sich manifestiert, dass der Urlaubsanspruch für Arbeitnehmer, die den Urlaub aufgrund einer lang andauernden Erkrankung nicht antreten können, erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt, mithin genau ein Jahr nach dem im Bundesurlaubsgesetz festgesetzten Datum. Auch hier bleibt der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtswidrigkeit des deutschen Gesetzes untätig.

Diese gesetzgeberische Untätigkeit ist umso weniger verzeihlich, als eine Änderung nur weniger gesetzgeberischer Handgriffe bedürfte und sowohl Kabinett als auch Parlament sicherlich unangefochten passieren würde. Durch die Untätigkeit erweist sich der Gesetzgeber auch selbst keinen guten Dienst: Das deutsche Recht fußt auf dem römischen Recht, das wiederum ganz entscheidend auf das geschriebene und nicht das durch Gerichte gesprochene Recht abstellt. Die Aktualität des geschriebenen Rechts ist daher für die rechtsunterworfenen Bürger von besonderer Wichtigkeit.

Zwar galten im Arbeitsrecht schon immer Ausnahmen vom Prinzip der Gewaltenteilung: Praktische Rechtssetzung erfolgt im deutschen Arbeitsrecht traditionell sehr stark durch die Gerichte, insbesondere durch EuGH und BAG, was schon vor geraumer Zeit – und immer wieder – den Ruf nach einem vollständig kodifizierenden deutschen Arbeitsgesetzbuch ausgelöst hat. Die Bertelsmann-Stiftung hat hier schon vor Jahren einen sehr ausgewogenen Entwurf auf Basis des geltenden Rechts vorgelegt, der von der Politik jedoch praktisch nicht zur Kenntnis genommen wird. Umso wichtiger wäre es hier, zumindest das bestehende Gesetzesrecht an zwingende Vorgaben aus Luxemburg anzupassen.

Mit dieser Kritik bin ich nicht alleine: Erst im August 2012 hat, was selten vorkommt, der Arbeitsrechtsausschuss des deutschen Anwaltsvereins (DAV) zusammen mit dem Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit eben diese Anpassung arbeitsrechtlicher Vorschriften an die geltende Rechtslage mit Nachdruck eingefordert. Bislang leider noch ohne Erfolg.

 

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